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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich
Autoren: Natalie Angier
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jeder Gelegenheit so willig mit ihrem Kleingeld um sich werfen?
    Doch diese Trennung zwischen den beiden Geschlechtern hat sich als ein bisschen zu glatt erwiesen. Spermien sind gar nicht so billig zu haben. Ja, bei Versuchstieren wie Fliegen und Würmern hat sich gezeigt, dass ihre Herstellung zu einer beträchtlichen Verkürzung der Lebensspanne führt, und wir können nur spekulieren, ob das bei einigen unserer Lieblingsexemplare unter den höheren Organismen nicht ebenso der Fall ist.
    Diese neue Erkenntnis schmälert jedoch in keiner Weise die Bedeutung der weiblichen Partnerwahl für die Evolution männlichen Aussehens und Verhaltens. Weibchen geben ihren Jungen von sich trotzdem immer noch weit mehr als nur ihre Eizellen. Säugetiermütter tragen ihre Babys lange mit sich und geben ihnen die Brust; sie haben jeden Anlass, bei der Wahl des Vaters für ihre Jungen überaus anspruchsvoll zu sein. Dennoch rückt das Wissen darum, dass der Spermien-Output seinen männlichen Produzenten einen beträchtlich hohen Preis kostet, die Dynamik des Sexualverhaltens in ein neues und differenzierteres Licht. Man beginnt Dinge zu sehen, die einem zuvor entgangen sind. Man sieht, wie das Weibchen seine Wahl trifft, und dann beobachtet man plötzlich, wie das Männchen die seine trifft: Entweder es begrüßt seine neue Geliebte, oder es marschiert davon, als dächte es: »Die ist es nun wirklich nicht wert, auf ein paar Minuten meines Lebens zu verzichten.«
    Wenn es eine Lektion gibt, die ich in all den Jahren gelernt habe, in denen ich mich mit Wissenschaft beschäftigt habe, dann die, dass nichts so ist, wie es zu sein scheint. Sondern die Dinge sind so, wie sie scheinen, plus all der Einzelheiten, die Sie gerade erst wahrzunehmen beginnen. Selten werfen neue Wahrheiten die alten vollkommen über den Haufen; sie fügen dem Porträt einfach ein paar nuancierende Pinselstriche hinzu. Delfine mögen zeitweilig von niederer Gesinnung sein und einander derart brutal an die Kehle gehen, dass das Blut nur so spritzt, aber sie können auch spielerisches, zärtliches Verhalten an den Tag legen. Sie entscheiden gemeinsam, wann es auf die Reise geht, wann gefischt und wann geruht wird. Hyänen stehen an der Spitze der Raubtierpyramide, und dies mit all der grausamen Wildheit, die eine solche Position verlangt. Im Unterschied zu Löwen verzehren sie ihr Opfer restlos -  Fleisch, Fell, Schädel, Knochen. Zwei Hyänenjunge beginnen einander zu bekriegen, sobald sie den Mutterleib verlassen haben, und meist endet dies mit dem Tod eines der beiden Geschwister. Aber wenn eine Hyäne gut drauf ist - wenn sie Sie kennt und Ihnen vertraut - , dann lässt sie sich mit ihren zweihundert Pfund Lebendgewicht wie ein Haustier auf Ihren Schoß plumpsen und bettelt darum, hinter den Ohren gekrault zu werden.
    Die Sünden der gesalbten Heiligen, die  Jekylls hinter den hydeschen Fassaden - sie sind der Grund dafür, dass ich voller Freude die Ungeheuer, über die ich schreibe, als besondere Protagonisten vorstelle, als Helden mit Schönheitsfehlern, die das Drama ihrer Einschränkungen und Möglichkeiten ausleben. Und ich vermenschliche dabei schamlos~ Ich unterstelle nicht menschlichen Arten alle möglichen Persönlichkeiten, Absichten, Gefühle, Eindrücke, sogar Träume und Wünsche.. Ich tue dies, um das Buch spannend zu machen, aber auch weil die Kontinuität des Lebens auf genetischer und morphologischer Ebene ein hohes Maß an brüderlicher Nähe zwischen den verschiedenen Kreaturen unseres Planeten vermuten lässt. Unlängst sah ich in einem Museum für Naturgeschichte eine Ausstellung von Skeletten verschiedenster Arten: Pferde, Krokodile, Affen, Hunde, Mäuse, Vögel, Delfine, Menschen. Ihr Anblick machte mir einmal mehr deutlich, wie häufig die Natur ihre besten Erfindungen wieder verwertet: Die Knochen der Gliedmaßen fügen sich, je nachdem, ob das Tier vier-oder zweibeinig, Huftier oder Flieger ist, in entsprechender Weise zu Schultern und Hüften. Bei jedem Wirbeltier ragen die Rippen in paralleler Anordnung und Raum bildend aus der Wirbelsäule heraus. Der Oberschenkel besteht jeweils aus einem dicken, der Unterschenkel hingegen aus zwei dünnen Knochen. Wir alle verfügen über Fingerknochen, auch wenn die Finger womöglich zu Flossen verschmolzen sind. Unter der Haut sind wir wirklich alle gleich.
    In Anbetracht der Ähnlichkeiten des Skelettbaus überfiel mich die übliche Mischung sich widersprechender Gefühle von geschmälertem
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