Schockgefroren
ein Liedchen singen.
Danach bleibt die Familie zusammen. Ich freue mich immer, wenn ich unter meinen Geschwistern bin. Es ist schöner, als alleine zuhause zu sitzen. Aber irgendwann sitze ich doch wieder alleine zuhause. Was soll ich tun? Zurück in die Schweiz fahren? Dort beginnt der Weihnachtsurlaub, der sich ins neue Jahr hinzieht. Das lohnt sich nicht mehr. Doch herumhocken ist das Letzte, was ich brauchen kann. Also erst mal aufräumen. Saubermachen, alles putzen. Der Frühling ist zwar noch weit weg, aber ich mache Frühlingsputz. Das bringt mich auf andere Gedanken. Andere Gedanken sind willkommen. Ich könnte wieder nach meinen Aufzeichnungen sehen, überlege ich mir, während ich mit Hingabe den Herd reinige. Ich habe schon lange nichts mehr aufgeschrieben, denke ich, während ich den Müll hinaustrage. Jetzt ist die beste Gelegenheit dazu, sage ich mir, während ich den Boden nass aufwische.
So ein Frühlingsputz ist eine gute Sache, auch wenn er im Winter stattfindet. Als ich fertig bin, setze ich mich an den Schreibtisch. Ich fühle mich gefestigt genug, den Sprung in die Vergangenheit zu wagen. Diese Vergangenheit, die gar nicht vergangen ist. Die wird jetzt aufgeschrieben. Ich fahre den Computer hoch und lege los.
Ich bin seit zwei Wochen zuhause
und habe noch keinen Schritt vor die Tür gesetzt, als die Einladung kommt: »Wir Kinder von der Hainerberg-Schule laden dich, lieber Sascha, zu uns in die Schule ein. Wir würden uns freuen, wenn du uns besuchst«, steht da. Darunter, in vielen bunten Farben, eine Menge Unterschriften.
»Was meinst du, Sascha?«, sagt Papa. »Sollen wir hinfahren? Die Amerikaner haben geholfen, dich zu suchen.«
Ich schaue Papa an. Wir haben bisher nicht »über die Sache« gesprochen. Wir tun so, als wäre ich nie weg gewesen. Doch wäre ich nicht weg gewesen, würden mich nicht die Kinder der Hainerberg-Schule einladen. Es ist eine amerikanische Schule, und Papa hat gesagt, die Amerikaner haben geholfen, mich zu suchen. Er fügt hinzu, sie haben in ihren Zeitungen über mich geschrieben, und die Kinder haben für mich gebetet. Deshalb würden sie mich gerne kennenlernen.
»Können die Kinder nicht herkommen?«, frage ich.
Papa lacht. »Es sind ein paar Hundert«, sagt er. »Die passen nicht alle in die Wohnung.«
Das sehe ich ein. Ich würde die amerikanischen Kinder gerne kennenlernen. Dazu muss ich aber das Haus verlassen. Aber vielleicht ist es gar nicht so schlimm? Mama ist dabei, und Papa ist dabei, da kann es gar nicht schlimm werden. Wenn Adam G. kommt, wird Papa mit ihm fertig. Ja, ich habe plötzlich große Lust, aus dem Haus zu gehen.
Papa freut sich, als ich »Ja« sage. Schon am nächsten Nachmittag sitzen wir im Auto. Vor der Kaserne müssen wir anhalten, dürfen aber gleich weiterfahren. Ein Soldat sagt Papa, wohin er fahren muss. Als wir vor der Schule halten, kommen ein paar Lehrer heraus. Sie sind alle sehr nett zu mir, und einer fragt, ob ich Lust habe, in seine Klasse zu kommen. Er unterrichtet Naturwissenschaft, und sie machen Experimente, das könnte mir gefallen. Das tut es auch. Wir probieren aus, wie viele Büroklammern an einem Magnet hängen, ohne herabzufallen. Jeder von uns darf den Magneten halten. Die Kinder sind fröhlich und machen kein großes Aufhebens um mich. So wohl habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Am Ende der Stunde schenken sie mir ein Ringbuch, in das alle reingeschrieben haben. Der Lehrer sagt, draußen gibt es Kaffee und Kuchen. Er bringt mir meine ersten englischen Worte bei: Kaffee heißt coffee. Kuchen heißt cake. Ich möchte einen Kuchen heißt: I want a cake.
»I want a cake, I want a cake«, sage ich, und alle lachen.
Gleich nebenan ist eine Wiese. Dort toben andere Kinder herum. Sie spielen mit einem Ball, der aussieht wie ein Ei. Ein Junge kommt rübergelaufen und fragt, ob ich mitmachen will. Das Spiel heißt Football, und er möchte mir zeigen, wie es gespielt wird. Ich gehe mit, einfach so, und schon bald rennen wir kreuz und quer über die Wiese und hauen gegen den Ball. Das macht Spaß! Ich will gar nicht mehr aufhören, ich habe ja ganz vergessen, wie schön Spaß ist! Wie viel Freude rennen macht! Ich renne so schnell wie möglich über die Wiese, vor und zurück und zurück und vor und nach links und rechts und im Kreis herum. Wenn der Football vor mir liegt, haue ich ihn weg!
Irgendwann geht der Nachmittag zu Ende. Alle Schüler kommen zusammen. Sie haben ein Geschenk für mich: einen
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