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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller
Autoren: Marc Raabe
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das schmutzig gelb geflieste WC . Sie erkannte Bug sofort an der Stimme, die wie eine Schaumkrone auf dem gedämpften Kneipenlärm schwamm. Offenbar brauchte er einen ruhigen Platz, um zu telefonieren.
    Â»Ich verstehe das nicht«, sagte Bug, »das war anders abgemacht, Vico.«
    Vico? Liz spitzte die Ohren und hielt den Atem an. Mit Vico war vermutlich Victor von Braunsfeld gemeint, der Eigentümer der BMC Mediengruppe, zu der auch TV 2 gehörte.
    Â»Nein, nein. Ich will mich ja gar nicht beschweren«, sagte Bug hastig, »natürlich, das ist ein Fortschritt, das ist mir klar, aber als Geschäftsführer könnte ich den Sender ganz anders nach vorne bringen.«
    Liz’ Augen wurden groß. Bug und Geschäftsführer?
    Â»Ãœber was für einen Zeitraum reden wir denn?«, fragte Bug.
    Einen kurzen Moment blieb es still.
    Â»Damit kann ich leben, wenn Sie mir … Was?« – »Nein, es ist nur laut hier.« – »Ins Gespräch bringen?« Bug lachte schmutzig. »Verlassen Sie sich drauf, ich hab da schon was im Visier. Das wird der perfekte Aufreger. Die Zeitungsfritzen werden sich die Finger wund schreiben, die Pharisäer schreien ach und weh, und das Volk klebt geschlossen vor der Glotze.«
    Aufreger?, dachte Liz. Damit konnte nur ein neues Fernsehformat gemeint sein, irgendein niveauloser Mist.
    Â»Was?«, fragte Bug. »Ach so, die . Ja, ja, ich weiß. Die Doku war toll. Ich bin dran, sie hat mir schon die Nächste angeboten.«
    Ein spöttisches Lächeln huschte über Liz’ Gesicht. Offenbar sprach Bug gerade von ihr. Vor knapp einem Jahr war ihr ein kleines Wunder geglückt: Sie hatte eine dreiteilige Dokumentation über Victor von Braunsfeld gemacht, einen der reichsten Männer des Landes, der sich in den letzten Jahrzehnten konsequent jede Berichterstattung verbeten hatte.
    Â»Nein, da muss ich Sie enttäuschen«, sagte Bug. »Festanstellung ist nicht ihr Ding, will sie einfach nicht. Sie arbeitet lieber frei.«
    Kein Wunder, du Arsch, dachte Liz. Bei so einem Chef …
    Â»Ja, ja. Ich weiß, dass sie gut ist, keine Sorge, ich versuch, sie anders zu binden.«
    Liz hob die Brauen.
    Â»Alles klar. Dann sehen wir uns morgen wegen der Formalitäten. Gute Nacht.« Bug legte auf, dann stieß er laut den Atem aus. »Verdammte Bitch. Demnächst lädt er sie noch zum Carpe Noctem ein … die hat dem Alten ja wohl den Verstand weggelutscht.«
    Liz verzog keine Miene. Es war nichts Neues, dass Bug unter die Gürtellinie drosch. Aber was meinte er mit Carpe Noctem ?
    Als es laut im Pissoir zu plätschern begann, stellte sie sich vor, was Bug wohl für ein Gesicht machen würde, wenn sie jetzt freundlich grüßend aus der Kabine trat.
    Selbst jetzt, hier draußen auf der Straße, muss sie noch bei der Vorstellung grinsen. Liz atmet tief durch und spult noch einmal Bugs Telefonat im Kopf ab. Sie ertappt sich dabei, bereits eine Story daraus zu konstruieren. Nicht weil sie ernsthaft daran glaubt, daraus einen Bericht machen zu können, sondern vielmehr aus reiner Gewohnheit – und Neugierde.
    Diese Neugierde hatte sie schon als kleines Kind angetrieben. In den Augen ihrer Mutter war Neugierde zwar eine zutiefst weibliche Eigenschaft, nur dass Liz’ Interesse sich immer auf die falschen Dinge richtete. Liz war wie ihre Haare. Rot und widerspenstig. Sie war nicht hübsch genug für ein Model, nicht elegant genug für eine Tänzerin und nicht häuslich genug, um eine gute Partie zu machen.
    Mit neun Jahren wurde Liz von ihrem Vater, Dr. Walter Anders, Oberstaatsanwalt in Berlin, dabei ertappt, wie sie in seinem Arbeitszimmer in den Akten seiner Kriminalfälle stöberte – aus Neugierde.
    Beim Essen fielen ihr dauernd Fragen dazu ein, aber über die meisten wurde nur gelacht. Noch nicht einmal weil sie neun war, sondern vielmehr weil sie ein Mädchen war. Liz hasste es, ein Mädchen zu sein. Und wenn ihr Vater einmal eine ihrer Fragen doch beantwortete, sah er dabei meistens ihren vier Jahre älteren Bruder Ralf an, als gäbe es einen verdammten Spot, der ständig auf ihn gerichtet war.
    Ralf war es auch, der zum Abitur einen Zwei-Wochen-Trip nach New York geschenkt bekam – und einen fabrikneuen VW Golf. Er hatte einen Durchschnitt von 1,9 geschafft, und das wurde gebührend gefeiert.
    Liz machte drei Jahre später Abitur, mit einem
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