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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben
Autoren: Anne Chaplet
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meistens Jens gewesen, der mit diesem Satz den Klatsch und Tratsch eröffnete. Seine Nachfolgerin war freundlich und stumm. Marianne schien die Lücke ausfüllen zu wollen.
    »Sie haben denjenigen festgenommen, der im Knast das Gerücht in die Welt gesetzt hat, der Regler sei ein Kinderschänder.«
    »Ein Mitgefangener?«
    »Ein Gefängniswärter!«
    »Nicht zu fassen«, murmelte Gottfried.
    »Der hat den Gefangenen alles verkauft, Handys und Rauschgift und was du willst.«
    Man las von solchen Fällen in der Zeitung, sicher. Aber warum hätte der Mann Thomas Regler anschwärzen sollen?
    »Den Tip hatte er von Jens. Dem war er noch einen Gefallen schuldig, der hat ihm wohl mal eine ganze Postsendung Handys zugespielt.«
    Bremer erstarrte. Sicher Jens war ein Opfer gewesen – vor allem seiner Eltern. Aber wie umfassend und präzise hatte er seine Rache geplant! Was hätte man aus dieser Energie machen können. Was taten die Menschen nur mit sich.
    Er gab sich einen Ruck. »Und?« fragte er auffordernd in die Runde. Marianne hatte den Anstand, verlegen zu gucken, als sie auf die Uhr schaute und behauptete, sie sei eh schon zu spät, sie müsse noch duschen, und dann…
    Gottfried schüttelte den Kopf. »Das ist nichts für mich, Paul«, sagte er. »Und für Marie erst recht nicht.« Man war sanftmütiger, ja toleranter geworden im Dorf. Aber das hieß nicht viel. Bremer war der einzige aus Klein-Roda, der sich bei der Beerdigung blicken ließ. Krista war nicht gekommen, das war auch nicht zu erwarten gewesen, sie erholte sich irgendwo in einer Art Kurklinik. Karen war mit ihrer neuen Liebe unterwegs – und was sollte sie auch bei der Beerdigung eines armseligen kleinen Postboten in Klein-Roda? Der Fall war aufgeklärt. Das Aufräumen konnte man anderen überlassen.
    Auch egal, dachte Bremer, als er am offenen Grab stand, neben dem Pfarrer und der alten Hilde aus Rottbergen, die kein einziges Begräbnis ausließ. Die Sache war schnell vorbei. Er warf, als ob er der einzige Hinterbliebene sei, die erste rituelle Schaufel Sand auf die Holzkiste in der Grube. Und die paar Rosen, die schon die Köpfe hängen ließen.
    Während das Grab zugeschüttet wurde, ging er den Friedhofsweg hinunter, zurück nach Hause. Die Kletterrosen hatten ihre zweite Blüte begonnen und legten rote und cremeweiße Kaskaden über das Weinlaub an der Hauswand. Nemax und Birdie hockten vor dem Gartentor und sahen ihm entgegen. Ihn packte eine quälende Sehnsucht nach Anne und dem ganz ordinären Glück.

53
    D ie Kletterbohnen waren abgeerntet, und Zucchini konnte er nicht mehr sehen. Der Sommer überschwemmt alles mit seinen Gaben, so daß man gar nicht merkt, daß er bereits vorbeigeht, dachte Bremer, als die ersten wurmstichigen Äpfel aufs Pflaster zu prallen begannen und die Pflaumen an den Straßenbäumen mehlig schmeckten vor Süße.
    Marianne brachte ihm ein Glas mit frisch eingelegten Gewürzgurken. Gottfried schlachtete seine Legehennen. Und Wilhelm kam mit einer Schubkarre voller Kürbisse vorbei.
    Irgendwann abends waren Karen und Gunter zu Besuch, brachten Rauscher mit aus Frankfurt und die satte Ruhe eines glücklichen Paares. Sie redeten den ganzen Abend lang über alte Autos, alte Häuser und gute Weine. Solche mit Alterungspotential, versteht sich.
    Eines Morgens hing die Kapuzinerkresse schlaff und glasig aus dem Topf. Die Kletterrosen nahmen einen betörenden Glanz an, so, als ob sie wußten, daß es bald zu Ende gehen würde mit ihnen. Und das Weinlaub rötete sich, bis es weithin leuchtete.
    Das Fell der Katzen wurde dichter. Bremer ließ den Gastank auffüllen und spaltete Brennholz.
    Eines Tages fuhr der leuchtend grüne Bulldog wieder ins Dorf ein, Musik ertönte, und jemand pustete ins Mikrofon. Moritz Marx, der die Wahl zum Bürgermeister verloren hatte, war wieder auf Kampagne. Diesmal ging es nicht um Wahlen und Positionen. Diesmal hatte Moritz eine Bürgerinitiative gegründet.
    »Sprengt den Hitlertunnel!« stand auf dem Transparent, das über die Länge des Planwagens gespannt war, auf dem diesmal kein Fäßchen für durstige Wähler stand, sondern ein riesiges Sparschwein.
    Dynamit, nahm Bremer an, kostet Geld.
    Und dann kam der Tag, an dem die letzten vertrockneten Gemüsereste vom Beet geräumt werden mußten. Bremer brachte den fast garen Kompost aus der Tonne hinter dem Schuppen auf dem Boden aus, arbeitete ihn leicht ein und grub dann mit dem Spaten um. Nemax und Birdie saßen dabei, schauten interessiert zu
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