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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben
Autoren: Anne Chaplet
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Natürlich. Wer den massiven, hohen Stahlzaun überwunden und sich durch ein dichtes Lärchenspalier hindurchgekämpft hatte, kam an einen seerosenbewachsenen Teich, in dem Frösche und Kröten lebten, deren Quarren man nächtens hören konnte. An den Hang oberhalb des Lochs hatte man eine Hütte gebaut, eine schlichte Holzkonstruktion, deren Fenster eigentlich immer durch Läden verschlossen waren. Vor der Hütte, auf der kleinen Veranda, gab es eine primitive Waschgelegenheit. Das alles sah man nur, wenn es Winter war und die viel zu vielen Bäume auf dem schmalen Grundstück kahl waren.
    »Ich – zieh mir schnell was an.« Verlegen sah Paul an sich herunter. Man hatte ihn in Pantoffeln erwischt. Aber dann hob er den Kopf. Völlig egal. Das würden Städter wie Karen für unpassend halten. Aber nicht die Männer und Frauen im Dorf. In seinem Dorf.
    Dann gingen sie los, begleitet von den Frauen, bis der Feldweg auf die Straße stieß. Franz machte den Spürhund, nachdem Gottfried ihm etwas zugeflüstert hatte. Willi hustete. Wie üblich. Keiner sagte etwas, aber alle schienen nahe an ihren zugezogenen Städter herangerückt zu sein. Er fühlte sich beschützt. Nur die Angst vor dem, was man womöglich finden würde, hielt ihn davon ab, schon wieder gerührt zu sein.
    Als sie angekommen waren, verließ ihn der Mut. Der Zaun sah unüberwindlich aus. Mit einem Seitenschneider würde man Stunden beschäftigt sein, um sich Zugang zu verschaffen. Die Männer standen vor dem Tor, schüttelten den Kopf und kratzten sich den Nacken. Schließlich packte Willi das Tor und rüttelte daran. Es ging geräuschlos auf.
    Eigenartig, wie alle plötzlich zögerten. Man hatte Widerstand erwartet, wollte Hindernisse überwinden. Ging plötzlich alles ganz einfach, war Mißtrauen angesagt. Schließlich ging Bremer vor. Er stieg den Pfad hinunter zum Seerosenteich und von dort eine Treppe hoch zur Hütte. Die Tür ließ sich ebenfalls öffnen. Sie führte in einen dunklen Raum. Auf dem Boden, an eine Tür gelehnt, die offenbar in ein weiteres Zimmer führte, saß Krista Regler. Neben ihr lag ein Mann, wie hingegossen, den Kopf in ihrem Schoß. Pietà, dachte Bremer und ließ sich von der Szene ergreifen. Und dann sah er das verzerrte Gesicht des Mannes.
    »Jens«, sagte Gottfried leise. »Der arme Junge.«

50
    Klein-Roda
    K aren fühlte sich wie in die Heimat zurückgekehrt, als sie in Klein-Roda einfuhr. Die angegrauten Eternitplatten vor den Fassaden schäbig gewordener Fachwerkhäuser, die großen Futtersilos hinter langgestreckten Stallgebäuden, die stromernden Katzen und die Pferdeäpfel auf der Straße. Und der Krach.
    Als sie ausstieg, empfing sie ein Schwall von Gerüchen und das Gebell von mindestens drei Hunden. Nur Menschen waren nicht zu sehen – ungewöhnlich für ein Dorf, in dem sich im Sommer das Leben draußen abzuspielen pflegte. Beruhigenderweise fuhr in diesem Moment ein Traktor vorbei und donnerte den Feldweg hinunter.
    Sie öffnete das Gartentor. Als sie eintrat, sprang Nemax ihr entgegen und schmiegte sich an ihr Bein. Sie streichelte das Tier. »Und Herrchen?«
    Nix Herrchen. Das Haus war abgeschlossen. Sie setzte sich auf die Gartenbank, kraulte den Kater, der sich neben sie gehockt hatte, und nahm den Gedanken von vorhin wieder auf. Was war mit Krista Regler? Wenn sie Hansen nicht umgebracht hatte und Thomas Regler ebensowenig der Täter war, dann gab es einen Unbekannten im Spiel. Also doch Terroristen, dachte sie. Irgendwelche Killer, die Allah auf Knien dankten für die Steilvorlage, die Krista Regler ihnen geliefert hatte. Wenn das Ehepaar Regler nicht versucht hätte, einander zu decken, hätte man einer solchen Überlegung gleich nachgehen können.
    Nemax schnurrte, Hummeln summten, Rosen dufteten. Sie schloß die Augen. Als sie sie wieder öffnete, erschien ihr die Idee so plausibel, daß sie am liebsten »Heureka« oder etwas ähnlich Absurdes gebrüllt hätte.
    Hansens Tod war nicht beabsichtigt gewesen. Der Täter war, wie er glaubte, Thomas Regler gefolgt. Er wußte nicht, daß es Krista war, die im Auto ihres Mannes saß. Daß sie sich in Usingen mit einem Liebhaber traf, konnte der Killer ebenfalls nicht wissen. Es war dunkel. Ein Mann lag benommen draußen auf der Straße. Der Täter, mit dem Stein bewaffnet, der deutlich machen sollte, warum Regler zu sterben hatte, konnte geglaubt haben, Regler sei auf dem vereisten Boden ausgerutscht und hingefallen. Jedenfalls ergriff er seine Chance.
    Wenn
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