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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Autoren: Matthias Wittekindt
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Mädchen füllt Luft nach…
    Er steigt aus.
    Das Mädchen, drei knatternde Fahnen mit dem Emblem der Tankstelle.
    Der Wind ist hier stärker als vorne bei den Zapfsäulen. Sie hat ihren Helm auf den Sitz gelegt, ihre blonden Haare wehen fast waagerecht im Wind. Sie hat ihn nicht bemerkt, er…
    Plötzlich.
    Ein lautes Geräusch.
    Er reißt seinen Kopf herum. Er versteht nicht. Nicht sofort. Aber dann. Ein Pressluftaggregat ist angesprungen. Nur das. Ein zweites Geräusch. Ein Motor.
    Er dreht sich zu dem Mädchen zurück.
    Nicht abhauen!
    Sofort ohne Gedanken.
    Ganz schnell ist er, ganz schnell, ein paar schnelle Schritte.
    Und doch zu langsam. Das Mädchen entkommt. Ein Schritt hat gefehlt. Ein einziger Schritt.
    Er bleibt stehen. Sein Herz schlägt so stark, dass er es am Hals, sogar noch in den Schläfen spürt.
    Ihr Helm liegt ein Stück weit entfernt am Boden. Das Aggregat geht aus. Am Boden zischt etwas. Der Nachfüllschlauch, der herausgerissen ist aus dem Ventil, bei ihrer Flucht.
    Zwei Minuten steht er noch da. Es ist schon eine Weile her, dass er sich so lebendig gefühlt hat.
    Kurz bevor er Fleurville erreicht, hörte er auf, an das Mädchen zu denken. Es ist zwar schon kurz vor elf, und seine Frau schläft bestimmt schon. Aber er will sicher gehen. Er darf diese Sache nicht in seine Familie hineintragen. Seine Frau würde wieder vermuten, dass er kalt oder desinteressiert ist. Also konzentriert er sich auf seine Orchideen. Der Frauenschuh wird bald blühen.
    Als er auf sein Haus zugeht, sieht er, dass Licht brennt. Er schließt auf, und als er eintritt, geht ganz kurz alles durcheinander in seinem Kopf. Hat er vergessen, dass sie Gäste haben? Dann erkennt er den Kommissar. Neben ihm stehen zwei Frauen, die er nicht kennt. Seine Frau sitzt auf dem Sofa, hat wohl geweint. Der kleine Dicke, der im Kommissariat auch dabei war, kümmert sich um sie. Der nächste Gedanke ist ganz schrecklich! Hat jemand meiner Tochter was angetan? Jetzt kommt eine der beiden Frauen auf ihn zu. Sie hält ein Glasröhrchen in der Hand, aus dem sie ein Wattestäbchen herausholt.
    »Monsieur Agneau, wir brauchen eine Speichelprobe von ihnen.«
    Es ist vorbei. Er ist gerettet.

    Pierre Agneau hat von Anfang an seine Strategie, und bei der bleibt er. Allein schon wegen seiner Familie.
    Er leugnet in allen Punkten. Obwohl das natürlich sinnlos ist. Bei Isabel jedenfalls sind die Beweise so schlagend, dass er wegen Vergewaltigung und Mord verurteilt wird.
    Er nimmt das Urteil an. Und ein Triumph bleibt ihm. Sie haben die Reifen nicht gefunden. Obwohl sie sicher in Saarbrücken danach gesucht haben. Die Reifen waren alt. Wahrscheinlich hatte Peter sie längst zur Verwertung gegeben.
    Er hat nicht viel Zeit, sich über dieses Detail zu freuen. Bereits in der Untersuchungshaft wird ihm klar, dass die anderen Häftlinge wissen, was er getan hat. Von nun an gibt es etwas, das stärker ist als seine Begierde. Er hat Angst.

    Weihnachten. In Ohayons Leben hat sich etwas Entscheidendes verändert. Zum ersten Mal wird er das Fest zusammen mit einer Frau feiern. Weihnachten wird es Karpfen geben, und er wird ihn zubereiten.
    Und so betritt Sergeant Ohayon am Morgen des 24. Dezembers den Fischladen von René Mortier, Genevièves Großvater. Als Ohayon vor ihm steht, weiß er, dass sie darüber reden müssen. Sie sprechen ein Weilchen, dann führt René Mortier ihn in die hinteren Räume. Ohayon wird schwindelig. Da ist sie wieder. Geneviève, die seit vier Wochen auf dem Friedhof von Fleurville liegt. Der ganze Raum ist voller Bilder.
    »So viele?«
    »Sie wäre vielleicht mal eine richtige Malerin geworden…«
    René Mortier hat genug geweint. Er hat gelernt, über seine Enkeltochter zu sprechen, ohne dass Tränen kommen. Er hält sich an die Bilder und fängt an, Ohayon zu erklären, welche Bilder wann entstanden sind. Und obwohl Ohayon von Kunst rein gar nichts versteht, sieht er eine Entwicklung. Gerade im letzten Jahr. Aber René Mortier erzählt rückwärtsin der Zeit. Und so ist das letzte Bild, über das er spricht, das erste, das Geneviève je gemalt hat.
    »Meine Tochter hat es zwischen Genevièves alten Skizzen gefunden. Das muss sie gemacht haben, als sie zwei oder drei Jahre alt war.«
    Und genau so sieht das Bild auch aus. Es zeigt sechs etwas zittrige Striche, die senkrecht im Bild stehen. Zwei davon sind kürzer. René Mortier schüttelt den Kopf.
    »Wir rätseln alle, was das darstellt. Ich glaube ja, das sind Beine. Die
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