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Schneenockerleklat

Schneenockerleklat

Titel: Schneenockerleklat
Autoren: Gmeiner-Verlag
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der Familie zu
sehen. Ja, das war eine gute Idee. Genau die Art Belohnung, die er brauchte, um
sich für die vor ihm liegende Woche so richtig zu motivieren.
    Diese Woche, das bedeutete ganz konkret die diesjährige Jahresversammlung
der European Federation of Investigative Criminalists (EFIC) samt umfangreichem
Rahmenprogramm, die am Semmering, also in knapp 1.000 Metern Seehöhe
stattfinden würde. Diese Veranstaltung hatte einen ganz besonderen Stellenwert.
Immerhin handelte es sich um die 50. Jahresversammlung seit Gründung der EFIC.
    Übrigens, in der Öffentlichkeit und den Medien bevorzugte die
EFIC aus akustischen Gründen die französische Variante ihres Namens, nämlich
Federation Européenne des Criminalistes Investigatives (FECI). Das klang
irgendwie unverfänglicher, war die mehrheitliche Meinung des Exekutivkomitees.
    Palinskis Handy fing an zu summen, erinnerte ihn daran, dass
es bereits 10 Uhr war und damit höchste Zeit, sich auf den Weg zum Flughafen zu
machen.
    Sir Frederick Swanhouse, der stellvertretende Chef von
Scotland Yard und als geschäftsführender Vice Chairman der FECI
Letztverantwortlicher für den bevorstehenden Trubel, würde um 11.35 Uhr in
Schwechat landen, nach zehn Minuten sollte dann Jean Blondell von der Sûreté
ankommen und dann Gianni Monderone mit einigen Kollegen aus Rom.
    Und sie alle wie auch noch einige mehr musste, nein, wollte
Palinski persönlich willkommen heißen. Also, wenn so überragende, ja legendäre
Kriminalisten schon einmal den Weg nach Wien fanden, dann würde er, Mario
Palinski, natürlich zu ihrem Empfang bereitstehen.

     
    *

     
    Die alte Frau blickte neugierig auf das
blassblaue Kuvert, das ihr der Briefträger mit der übrigen Post in die Hand
gedrückt hatte. Normalerweise tat er das nicht, sondern stopfte die Werbung und
die gelegentlichen, mehr oder weniger erwarteten Poststücke in den metallenen
Briefkasten neben dem Eingang zu dem alten Bürgerhaus in der Gersthofer
Herbeckstraße.
    Heute hatte Frau Abbersyn, ja, so lautete der eher
ungewöhnliche Nachname der Frau tatsächlich, allerdings ein Einschreiben
erhalten. Ein amtliches Schriftstück, dessen Erhalt sie unbedingt persönlich
hatte quittieren müssen. Und wieder hatte die Behörde es nicht geschafft, ihren
Namen richtig zu schreiben, nämlich mit zwei b und einem fremden i, also einem
y.
    Die Witwe des bereits vor sechs Jahren dahingegangenen
Medizinalrats Dr. Georg Friedrich Abbersyn ärgerte sich nach wie vor darüber,
dass der – zugegebenermaßen seltene, manche vermuteten sogar gälischen Ursprungs
seiende – Name meistens Abersin oder Abbersen geschrieben wurde.
    In erster Ehe war Anita Abbersyn, eine geborene Danzinger,
ja, ja, aus der berühmten Wiener Ärztedynastie, mit einem Zeichenlehrer namens
Bauer verbunden gewesen. Zumindest nach Ansicht ihrer Eltern.
    Gegen deren heftigen Widerstand hatte sich Anita nicht für
die Medizin, sondern für ein Studium an der Angewandten [1] entschieden. Und sich bereits im zweiten Semester von Manfred Bauer, ihrem
Professor fürs Aktzeichnen, schwängern lassen.
    Die Ehe hatte aber nur etwas mehr als drei Jahre gehalten,
denn der Spezialist fürs Nackerte Zeichnen, wie die Danzingers den ungeliebten
Schwiegersohn nannten, konnte oder wollte seinen schönen Models nicht
widerstehen und seinen Pimmel in der Hose behalten. Das wurde irgendwann selbst
der früher eher toleranten Anita zu viel, und sie reichte, dynamisch gecoacht
von ihrer Mutter, die Scheidung ein.
    Dann hatte sie sich einige Jahre nur treiben lassen. War
durch die Welt gebummelt, hatte diverse Jobs gemacht und auch wieder
geschmissen und sich zwischendurch noch ein Kind machen lassen. Beim Vater des
heute 38-jährigen Albert hatte es sich angeblich um einen persischen
Technikstudenten gehandelt, den Anita irgendwo in Barcelona kennengelernt
hatte.
    In den Augen ihrer extrem erfolgs- und standesbewussten
Eltern hätte schon die Hälfte dessen, was Anita ihnen in diesen Jahren
zugemutet hatte, gereicht, um sie dezidiert zum schwarzen Schaf zu erklären.
Die Familie sah in ihr eine absolut lebensunfähige, parasitäre Existenz, noch
dazu mit Anhang, die lediglich dank der Großzügigkeit der Verwandten überleben
konnte.
    Und dann geschah das Wunder: Anita schaffte ihren Dr. med.
schließlich doch noch. Zwar nicht an der altehrwürdigen Alma Mater Viennensis,
sondern nur vor dem Standesamt. Aber immerhin, wen interessierte
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