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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann
Autoren: Jo Nesbø
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den Spot mal auf den Glaskäfig da oben und geben Sie mir ein Fernglas.”
    Ein paar Sekunden später schnitt ein Lichtstrahl durch die Nacht.
    “Sehen Sie etwas?”, fragte Skarre.
    “Schnee”, erwiderte Hagen und presste sich das Fernglas auf die Augen. “Licht weiter hoch! Stopp! Moment … Mein Gott!” “Was denn?”
    “Das gibt’s doch nicht!”
    Im gleichen Moment lichtete sich das Schneetreiben, wie ein Vorhang, der zur Seite gezogen wird. Hagen hörte die aufgeregten Rufe der Polizisten. Es sah aus, als würden zwei aneinandergekettete Figuren von einem Autospiegel herabbaumeln. Die untere hatte eine Hand beinahe triumphierend nach oben gestreckt, die andere Gestalt hing mit vertikal ausgestreckten Armen darüber wie ein waagrecht Gekreuzigter. Beide drehten sich leblos mit hängenden Köpfen im Wind.
    Durch das Fernglas konnte Hagen die Handschelle ausmachen, die Harrys linke Hand an das Geländer des Glaskäfigs kettete. “Das gibt’s doch nicht”, wiederholte Hagen.
    Es war ein Zufall, dass ausgerechnet der junge Beamte der Vermisstenstelle - Thomas Helle - neben Harry Hole hockte, als dieser wieder zu Bewusstsein kam. Vier Polizisten hatten ihn und Mathias Lund-Helgesen zurück in den Glaskäfig gezogen. Noch Jahre später sollte Helle immer wieder über die merkwürdige erste Reaktion des berüchtigten Polizisten reden:
    “Er hat mich ganz wild angesehen und gefragt, ob Lund-Helgesen am Leben sei! Als wäre es seine größte Sorge, dass dieser Kerl draufgegangen sein könnte. Dabei wär das ja wohl kein besonders großer Verlust gewesen. Als ich ihm mitteilte, dass der andere am Leben ist und gerade zum Krankenwagen hinuntertransportiert wird, brüllte er, wir sollten Lund-Helgesen Schnürriemen und Gürtel abnehmen und dafür sorgen, dass er sich nicht das Leben nehmen kann. Hat man Töne? So viel Fürsorge für einen Typen, der gerade versucht hat, seine Ex umzubringen?”

KAPITEL 37
    22. Tag. Papa
    Jonas glaubte, das Klingen der Metallstäbe gehört zu haben, war aber wieder eingeschlafen. Erst als er die halberstickten Laute hörte, schlug er die Augen auf. Es war jemand in seinem Zimmer. Sein Vater. Er saß auf seiner Bettkante.
    Und die halberstickten Laute waren ein Schluchzen.
    Jonas richtete sich auf. Er legte seinem Vater eine Hand auf die Schulter und spürte, wie er zitterte. Komisch, er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was für schmale Schultern sein Vater hatte.
    “Sie … sie haben sie gefunden”, stieß er weinend hervor. “Mama ist … “
    “Ich weiß”, antwortete Jonas. “Ich hab es geträumt.” Überrascht sah sein Vater ihn an. Im Mondlicht, das durch die Gardinen fiel, sah Jonas Tränen über seine Wangen laufen. “Jetzt gibt es nur noch uns beide, Papa”, sagte Jonas.
    Der Vater öffnete den Mund. Einmal. Zweimal. Aber es kam kein Laut über seine Lippen. Dann streckte er die Arme aus, schlang sie um Jonas und drückte ihn an sich. Hielt ihn fest. Jonas legte seinen Kopf an den Hals seines Vaters und spürte, wie die warmen Tränen seine Kopfhaut benetzten.
    “Weißt du was, Jonas?”, flüsterte er von Tränen erstickt. “Ich hab dich so lieb. Du bist das Kostbarste, was ich habe. Du bist mein Junge. Hörst du? Mein Junge. Und das wirst du immer bleiben. Wir werden es schaffen, nicht wahr?”
    “Ja, Papa”, erwiderte Jonas flüsternd. “Wir schaffen das. Du und ich.”

KAPITEL 38
    Dezember 2004. Schwäne
    Der Dezember war gekommen, und vor den Fenstern des Krankenhauses lagen die Felder braun und kahl unter dem stahlgrauen Himmel. Auf der Autobahn kratzten die Reifen mit ihren Spikes über den trockenen Asphalt, während die Fußgänger mit hochgeschlagenem Kragen und verschlossenem Gesicht über die Kreuzungen hasteten. Nur im Innern der Häuser rückten die Menschen näher zusammen. Und auf dem Tisch im Krankenhauszimmer verkündete eine einsame Kerze den ersten Adventssonntag.
    Harry blieb in der Tür stehen. Stalle Aune saß aufrecht im Bett und hatte allem Anschein nach gerade etwas Lustiges gesagt, denn die Leiterin der Kriminaltechnik, Beate Lonn, lachte noch immer. Auf ihrem Schoß saß ein rotbackiges Baby mit kugelrunden Augen, das Harry mit offenem Mund anstarrte.
    “Mein Freund! “, brummte Stalle, als er den Polizisten erblickte. Harry trat ein, umarmte Beate und reichte Stalle Aune die Hand. “Du siehst besser aus als neulich”, stellte Harry fest.
    “Sie haben gemeint, dass ich noch vor Weihnachten nach Hause kann”,
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