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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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seinen Kopf so wie ein Stück Wild, das Gefahr wittert. »Machst an Lungenbraten?«, will er dann wissen.
    »Nein, Gulasch gibt es«, erkläre ich. »Mit Klößen und Gurkensalat.«
    Vielleicht lade ich ihn zum Essen ein. Es ist genug da. Aber erst soll er mein Stromproblem lösen.
    »Machst die Knödeln söibst?«
    »Äh, nein, es sind Fertigklöße aus der Packung.«
    »Geh, schaaad. Hast schon a Watschen bekommen?«
    »Ein was?«
    »Einen Stromschlag «, versucht er es auf Deutsch und sieht mich neugierig an.
    »Nein, leider nicht, ich meine, zum Glück nicht. Ich hab den Strom ja noch gar nicht gefunden. Also die Schalter.«
    »Dann schau i mal nach«, sagt er und beginnt sich umzugucken
und umzugucken und umzugucken. Genau gesagt guckt er sich in der kompletten Hütte um, bückt sich, schaut unter Schränke, klopft Wände ab und dann steht er wieder vor mir.
    »Hast a Blizn, dann geh i noch in den Keller. Eine Taschenlampe«, sagt er, da ich ihn schon wieder verständnislos ansehe. Ich finde tatsächlich eine. Fünf Minuten später ist er aus dem Keller wieder da.
    »Dös is kei Wunder, dös es koan Strom gibt«, sagt er, und jetzt sieht er mich so an, als wäre ich geisteskrank oder zumindest kurz davor.
    »Wie meinen Sie das?«, frage ich nervös.
    »Dös gibt ja hier überhaupt gar keine Leitungen«, erklärt er mir und räuspert sich. »Hier hots noach nie Strom g’habt.«
    »Was?«
    Er nickt.
    Ich lasse mich langsam auf einen Holzstuhl in der Küche sinken. Wie peinlich ist das denn? Langsam kommt die Erinnerung. Natürlich - wir hatten hier noch nie elektrisches Licht. Überhaupt keinen Strom. Sogar das Wasser zum Waschen wurde immer im Kessel geheizt und dann in so eine Art Duschboiler geschüttet, den mein Opa mal gebastelt hat. Und im Sommer haben wir sowieso immer nur kalt geduscht oder uns am Bach gewaschen. Ursprünglich war die Hütte immer und sollte es auch bleiben. Wir fanden das auch immer alles toll, nur hatte ich es leider vergessen.
    »Äh«, sage ich. »Wie leid mir das tut. Jetzt sind Sie umsonst hergekommen.«
    Draußen klappern die Läden an die Holzwand. Ein richtiger Sturm hat eingesetzt. Es knarzt und pfeift, und durch
die Ritzen fegt Wind. Ein bisschen Schnee kommt auch mit durch.
    Er schüttelt den Kopf. »Dabei hat grad ein Tatort angefangen«, sagt er traurig. »Den wollt’ ich schauen, wegen der Ablenkung.«
    »Welche Ablenkung?«
    Seine Lippen beginnen komisch zu zittern.
    »Möchten Sie ein Glas Wasser?«
    Er schüttelt den Kopf. »Ein Kloara wär mir jetzt recht.«
    Ich versuche zu kombinieren. Sicher meint er einen Schnaps. Ich gehe zur Bar und zeige ihm dann verschiedene Flaschen. Er will »an Wipferlgeist«. Soll er haben. Ich selbst werde mir auch einen genehmigen.
    Dann sitzen wir uns in der Küche gegenüber. Der Sturm draußen wird minütlich stärker und tobt vor sich hin, als gäbe es kein Morgen mehr. Lange Zeit reden wir nicht, sondern trinken nur Wipferlgeist, aber irgendwann meint Max, dass er »an Hunger hat«, und ich tische Gulasch auf. Wilson schläft noch.
    Mit zunehmender Promillezahl taut er auf, lobt das Essen, und als wir fertig sind, lehnt er sich zurück und sagt: »Dös war die erste warme Mahlzeit seit vier Doag.«
    »Hatten Sie es mit dem Magen?«, frage ich fürsorglich.
    »Geh, naaa. Dös is wegen der Betty. Dös war meine Freundin. Sie is …«, er schluckt, »sie hat sich über die Häuser g’hauen.«
    »Ach je. Hat sie sich verletzt?«
    »Leider net. I moan, sie is abg’haun. Einfach so. Nach fast zehn Jahr’n.«
    Das kommt mir irgendwie bekannt vor, nur dass es in meinem Fall elf Jahre waren. Mir ist warm, was am Essen
und am Alkohol liegt, und Letzterer trägt auch dazu bei, dass mich eine merkwürdige Egal-Haltung erfasst. Das Arschloch hat mich zwar verlassen, aber wenigstens bin ich nicht allein. Dass der Elektriker mich für bekloppt hält, kann mir ja auch wurscht sein.
    Von draußen ertönt ein lauter Schlag, eigentlich sind es mehrere hintereinander. Max springt auf und rennt zur Tür.
    »Sakrament!«, schreit er, und ich folge ihm eilig. Schöner Salat. Zwei Tannen sind umgekippt und liegen jetzt auf unseren Autos, die man aber wegen des Schnees sowieso nicht mehr sehen kann.
    Max ist wütend. »Dös fehlt grad noch. Wie soll i jetzt fortkimm? So an Unreim.«
    Ich verzichte darauf nachzufragen, was das nun wieder heißt. Jedenfalls sieht es so aus, als müsste Max noch ein wenig bleiben.
     
    Zwei Stunden später weiß ich alles
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