Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
Vom Netzwerk:
ihn und stoßen ihn in den Main. Was glaubst du, wie toll das wird! Oder wir besorgen uns einen ausgehungerten Geparden. Wenn die Hunger haben, machen sie vor nichts halt.«
    »Das ist doch bei den meisten Tieren so«, erwidere ich lahm und denke über meine Worte nach. Na ja, vielleicht ist das nicht bei allen so, bei Regenwürmern vielleicht nicht. Egal.
    »Ich komme vorbei«, ruft Ruth theatralisch. »In dieser schweren Lebenskrise brauchst du mich. Jemanden so sitzen zu lassen! Wenn du wenigstens hässlich wärst, aber du siehst ja auch noch gut aus. Ach, was rede ich - super siehst du aus.«
    Hässlich bin ich wirklich nicht, muss ich denken. Gut, ein paar Kilo weniger könnten mir nicht schaden, aber sonst … blonde Haare, braune Augen, liebenswert (obwohl das mit dem Aussehen nichts zu tun hat, ich weiß).
    »Nein.« Ich schüttele den Kopf. »Ich muss hier raus. Raus aus dieser Wohnung.« Draußen schneit es immer noch. Die Vorstellung, heute Abend im Bett zu liegen und eventuell den Geruch des Arschlochs zu riechen, metzelt mich mental nieder.
    Und bald ist Weihnachten.
    »Was willst du machen?« Ruth macht sich Sorgen, das hört man.

    Ich streichle den Handmixer. »Ich will weg.« In diesem Moment weiß ich auch schon, wohin ich will. »Ich fahre zur Hütte.«
    »Bist du bekloppt?«, schreit Ruth. »Bei diesem Wetter! Schau mal nach draußen, na los!«
    »Ich weiß schon.« Es schneit wieder und sehr heftig. Man könnte meinen, eine überdimensionale Portion Puderzucker würde vom Himmel rieseln. »Das ist mir egal. Wenn ich hierbleibe, bringe ich mich um.«
    »Ich komme doch zu dir«, wiederholt Ruth.
    »Nein, ich fahre.«
     
    Die Hütte gehörte schon den Urgroßeltern meines Vaters. Sie ist wirklich schön, eben so, wie man sich eine Hütte im österreichischen Ötztal vorstellt. Natürlich aus Holz gebaut, mit Kamin und alten Ledersofas, einem großen Kohleherd und Pfannen an der Wand, die schon Papas Uroma benutzt hat. Und überall hängen Familienfotos in Schwarz-weiß und Bilder von den Opas und ihren Bekannten, die stolz auf ein erlegtes Stück Wild blicken, meistens ein Reh oder eine Gams. Und die Federbetten sind ein Traum! Ich schlafe in der Hütte immer wie ein Stein, was bestimmt auch an der guten Luft in Hochsölden liegt. Die Hütte liegt außerhalb des sowieso schon recht kleinen Ortes, genauer gesagt ziemlich außerhalb, es sind zehn Kilometer oder so, aber hier hat man seine Ruhe. Außerdem kann man morgens ganz bequem aus dem Haus stiefeln und hat eine wunderschöne Ski-Abfahrt bis runter zum Lift. Natürlich nur, wenn man Skifahren mag.
    Nun bin ich also auf dem Weg zur Hütte. Wie oft haben wir dort schon Weihnachten und Silvester gefeiert. Auch das Arschloch. Meine Eltern und Geschwister mochten ihn.
Was die wohl sagen werden, wenn sie erfahren, dass das Arschloch weg ist? Kommen dann vielleicht die üblichen »Irgendwie hab ich’s schon immer geahnt«-Sprüche?
    Vor mir liegen über fünfhundert Kilometer Autofahrt, ich habe viel Zeit zum Nachdenken. Aber erst muss ich tanken.
    Meinen neuen Freund, den Handmixer, habe ich mitgenommen. Er sitzt angeschnallt neben mir auf dem Beifahrersitz. Er wurde von mir so platziert, dass die Rührstäbe nach unten zeigen und er gut abgestützt ist.
    Ich glaube, ich werde ihn Wilson nennen, wie Tom Hanks damals den Volleyball. Bin mir sicher, dass es mir gerade genauso dreckig geht wie ihm. Ich weiß jetzt, wie sich ein Gestrandeter fühlt.
    Das Schneetreiben wird immer dichter, und ich muss ab und zu auf dem Standstreifen anhalten, weil ich absolut nichts mehr sehen kann. Zum Glück hab ich Wilson.
    »Wir machen uns ein paar ruhige Tage«, informiere ich ihn wie eine Mutter ihr Kind. »Das tut uns beiden gut.«
    Fast glaube ich, er nickt, als ich im ersten Gang irgendwann wieder anfahre.
    Ich kann es immer noch nicht glauben, dass mich das Arschloch Knall auf Fall verlassen hat. Mit Sicherheit bin ich psychisch am Abgrund, merke das aber nicht, weil da immer noch der Schock ist. Sonst wäre ich auch nicht bei diesem Mistwetter losgefahren. Kein Mensch ist auf der Autobahn unterwegs, und je näher ich Österreich komme, desto schlimmer wird es mit dem Schnee. Da war der in Frankfurt gar nichts gegen.
    Was das Arschloch jetzt wohl macht? Einen Bummel mit der Frau, von der er nicht genau weiß, ob es sie gibt? Oder baden sie gemeinsam und planen eine Vierzimmerwohnung
mit zwei Balkons, die sie mit schönen Blumen und Kräuterkübeln dekorieren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher