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Schmutzengel

Titel: Schmutzengel
Autoren: dtv
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und ihm zu seinem Geburtstag im vergangenen Mai geschenkt hatte. Ein schwarzes Hemd
     mit rosa Nadelstreifen von einer deutschen Hemdenmanufaktur. Er liebte diese Marke, Entschuldigung, dieses Label, und trug
     das Hemd mit derselben Hingabe, mit der ich es für ihn bügelte. Sue sah darin einfach süß aus. Ein bisschen wie rosa Zuckerwatte
     im Zartbitter-Schokoladenmantel. Sie steckte die Spitze ihres rechten Zeigefingers in den Mund, murmelte »ups, ich lasse euch
     dann mal allein«, drehte sich um und stelzte auf ihren langen, schlanken, haarlosen Beinen zurück ins Bett.
    »
So sorry
,
Corinn
«, sagte Greg und legte seine Hand an meine Wange. »Es war
love at first sight
.«Als ob die englische Sprache die Geschichte von der Liebe auf den ersten Blick erträglicher machte.
    »Ich wollte dir wirklich nicht wehtun, du hast so gut für mich gesorgt, aber   …«
    Ich stand immer noch mit hängenden Armen vor Greg, stocksteif und sprachlos. Ich hatte gut für ihn gesorgt, das stimmt. Aber
     war das alles gewesen?
    »Sue wird in Düsseldorf wohnen und es wäre ja lächerlich, wenn sie sich jetzt auf die Schnelle eine eigene Wohnung suchen
     müsste«, erklärte Greg mir beiläufig. »Deshalb dachten wir, dass es besser wäre, wenn du   …«
    So schnell wird man nicht nur arbeits- sondern auch obdachlos. Und Single. Übergewichtig war ich ja schon. Innerhalb weniger
     Stunden hatte ich alle Merkmale der perspektivlosen Unterschicht, die es für mich bisher nur in sozialkritischen Aussagen
     populistischer Politiker gegeben hatte, in meiner Person versammelt. Zum Glück neige ich nicht zur Hysterie. Jedenfalls damals
     nicht. Eine geradezu unheimliche Ruhe hatte von mir Besitz ergriffen. Ich ließ einfach alles geschehen, so wie ich als kleines
     Mädchen auf dem Bauernhof meiner Oma manchmal bei strömendem Regen in meinem roten Regenmäntelchen unter dem Überlauf der
     Dachrinne stand und bewegungslos dem harten Platschen auf der Kapuze und den Schultern lauschte.
    »Ach, Darling, Kopf hoch, du bist doch so ein nettes Mädchen, du wirst schon einen anständigen Kerl finden«, sagte Greg.
    Darling hatte Jörgen mich eben auch genannt, dann überreichte er mir die Kündigung. Dem nächsten Mann, der mich mit Darling
     anredete, würde ich den Hals umdrehen.
     
    »Hast du eine Freundin, bei der du unterkommen kannst?«, fragte Greg.
    Ich erwachte aus meiner Lähmung und starrte ihn an.
    »Übergangsweise?«, schob er hinterher.
    Wir hatten fast zwei Jahre zusammengelebt und er fragte mich, ob ich eine Freundin hätte? Ich hatte keine. Nie gehabt. Ich
     war ja immer beschäftigt gewesen, ins Büro gehen, Gregs Anzüge in die Reinigung bringen, die Schuhe putzen, seine Koffer für
     die Reisen ein- und nachher wieder auspacken,auf Greg warten und unsere Wohnung in Ordnung halten. Eine Freundin, nein, damit konnte ich nicht dienen. Aber ich hatte eine
     Idee, die die Leere in meinem Kopf wie ein Blitz aus heiterem Himmel mit feiner, für mich ganz untypischer Gehässigkeit gefüllt
     hatte.
    »Ich ziehe in dein Arbeitszimmer«, sagte ich.
    Das würde ihm wehtun. Sein Arbeitszimmer war sein heiliger Rückzugsort in unserer Wohnung. Ich hatte Zutrittsverbot, solange
     er sich darin aufhielt, und durfte es nur betreten, um dort zu putzen und Staub zu wischen. Das allerdings durfte ich oft,
     denn Greg hat es gern sauber.
    Natürlich hätte ich lieber meinen Koffer gepackt und wäre Türen schlagend aus der Wohnung gestürmt, aber wo sollte ich denn
     hin? Das Arbeitszimmer war der einzige Zufluchtsort, der mir einfiel.
    Greg schluckte, wollte etwas sagen, presste aber die Lippen zusammen und nickte. Er half mir, meine Sachen in sein Arbeitszimmer
     zu räumen. Ich richtete mich ein so gut es ging, aber natürlich ging es nicht gut. Dann verließ ich die Wohnung, ging zur
     Bank, stoppte den Dauerauftrag für die Mietanteilzahlung und streunte durch die Stadt wie ein geprügelter Hund. Ich bemitleidete
     mich selbst nach Strich und Faden und beschloss, mir etwas Gutes zu tun. Und jedes Kind weiß, was gut für Frauen mit Liebeskummer
     ist: Sie setzen sich in ein Café und essen tonnenweise Torten.
    Ich setzte mich in ein Café, bestellte einen Cappuccino und ein großes Stück der dunkelsten Schokoladentorte, die irgendeinen
     italienischen Namen trug, den ich nicht richtig aussprechen konnte. Ich schlürfte den Schaum vom Cappuccino, wie ich es, sehr
     zu Gregs Missfallen, immer getan habe. Die Torte kam, ich
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