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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition)
Autoren: Kate Ellison
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ob der gefaltete Zettel noch darin ist. Ich bewahre ihn dort auf, weil der Platz sicherer ist als die Hosentasche, aus der etwas herausfallen kann. Immer noch da. Ich ziehe meine Schuhe an und kontrolliere mein Aussehen in den antiken Spiegeln (neun), die über meiner Kommode hängen. Mein Pony sieht komplett bescheuert aus. Ich streiche ihn aus der Stirn und lasse ihn wieder fallen. Drei Mal. «Penelope Marin», sage ich laut zu meinem Spiegelbild, in meiner furchteinflößendsten Polizistenstimme, «halte dich von den Spiegeln fern. Ich wiederhole: Nimm deine Geldbörse vom Nachttisch und halte dich von den Spiegeln fern .»
    Der große Ring mit dem auffälligen gelben Gänseblümchen ruft nach mir, genau wie das gelbe Haus gestern, und ich weiß, dass ich ihn tragen muss. Er schmiegt sich an meinen Finger, und dann bin ich fertig.
    Nach B. Hornets Straßenkarte Neverland und Umgebung liegt der Cleveland-Flohmarkt innerhalb der Grenzen des Neverland-Viertels, aber irgendwie ist er dennoch eine Oase, ein sicherer Hafen. Er erstreckt sich über ganze Häuserblocks und ist eine eigene verzauberte Stadt. An sechs Tagen in der Woche gibt es hier Stände mit allerlei Schnickschnack, aber Sonnabend ist mein Lieblingstag. Der richtige Tag. Einer von zwei Tagen in der Woche mit drei perfekten Silben.
    Ich gestehe mir pro Sonnabend nur neun Verkaufsstände zu, damit das Vergnügen länger anhält. Wenn ich den Flohmarkt einmal ganz durchstreift habe, nach wochenlangem geduldigem Schlendern, stehen längst neue Verkäufer da, und ich kann wieder von vorn anfangen. Auf diese Weise kann ich sonnabends für immer und ewig voller Hoffnung aufwachen.
    Schon von weitem höre ich die Geräusche des Flohmarkts, ein wunderbares Gewirr aus Stimmen und Lauten. Bevor ich das Gelände betrete, klopfe ich tip tip tip, Banane , drei Mal. Neun Mal Tippen, drei Bananen zusammen. Gut. Sehr gut.
    Die Menschen laufen um mich herum, Tausende von ihnen, sie halten Händchen und berühren die Gegenstände und leben ihre Leben, und ich verliere mich in der Menge. Ganz normal.
    Ich komme an einer Bude mit antiken Gläsern, Rahmen und Taschenuhren aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts vorbei. Die Rahmen sind an den Ecken mit glänzenden Schildpattstückchen besetzt. Gerade will ich an die Auslage treten und mit den Fingern über all die glitzernden, wunderschönen alten Dinge streichen – meine Finger sabbern praktisch schon, so sehr freuen sie sich darauf –, als Keri Ram vom Nebentisch auf mich zuschießt.
    Meine Hand fliegt sofort hoch zu meinem Pony. Ich würde gern wissen, wie bescheuert er gerade aussieht. Auf einer Skala von eins bis zehn würde ich sagen: acht. Ich hasse acht.
    «He, Mädchen!», sagt sie. Sie tut so, als freute sie sich, mich zu sehen, was ganz schön seltsam ist, weil ich sie jeden Tag in Mathe sehe, und da freut sie sich absolut niemals, wenn sie mich trifft. In meiner Brust wird es plötzlich ganz eng, und ich merke, dass ich einfach nicht weiß, was ich sagen soll. Ich könnte aus Versehen Hi sagen, obwohl ich vielleicht Hey sagen müsste. Und dann würde sie am Montag ihren Freunden brühwarm erzählen, was ich für eine Idiotin bin, weil ich noch Worte wie «Hi» benutze.
    Endlich schaffe ich es, etwas zu sagen, aber alles, was ich hervorbringe, ist ein peinliches kleines «Hey», fast ein Knurren.
    Ihr Mund verzieht sich ein bisschen, ihre Augen werden ganz schmal, als ob sie darüber nachdenkt, was genau ich da gerade gesagt habe. Ich war bestimmt in einem Dutzend Kursen mit Keri, seit ich am Ende der achten Klasse nach Cleveland gezogen bin, mit dreizehn, aber wir haben noch nie wirklich miteinander gesprochen. Sie war nicht immer in der angesagten Clique, aber jetzt ist sie es, und ich weiß nicht, ob ich sie jemals ohne ihre Gefolgschaft gesehen habe. Sie ist im Schülerrat und in der Anti-Drogen-Gruppe und in der Jura-AG und im Hockeyteam und in mindestens zwanzig weiteren AGs, von denen ich erst im Schülerjahrbuch erfahren werde, wenn ich die Bildunterschriften unter den Hochglanz-Schülerfotos lese.
    In der neunten Klasse kam mal das Gerücht auf, dass sie eine Lesbe sei – wahrscheinlich weil sie ziemlich breite Schultern und eine tiefe Stimme hat –, aber dann hieß es im letzten Schuljahr, dass sie ihre Jungfräulichkeit an irgend so einen achtundzwanzigjährigen Musiker verloren hätte. Angeblich hätte sie ihn im Urlaub mit der Familie an einem Hotelpool in Chicago getroffen. Irgendwie
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