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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt
Autoren: Marcus Imbsweiler
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schöne authentische Kopfverletzung!«
    »Habe ich nicht!«, rief er. »Schon als ich zuschlug, war mir
klar, dass jetzt Schluss mit der Aktion sein musste. Ich wollte nur noch raus,
nur noch weg von dort. Der Film war das Letzte, woran ich dachte.«
    »Und dein Kollege?«
    »Genauso. Du hättest sehen sollen, wie der Gummi gab.«
    »Das habe ich. Wie gings weiter?«
    »Gar nicht. Den anderen haben wir nichts erzählt. Und sonst
auch niemandem.«
    Dabei blieb er. Eine lächerliche Aktion mit tragikomischem
Ausgang. Ihn selbst plagte angeblich das schlechte Gewissen, aber der Blonde
hatte ihn beruhigt: Die ganze Sache sei wahnsinnig spannend gewesen, und die
Tatsache, dass nie jemand davon erführe, sei vielleicht das echt Authentische
an ihr.
    »Okay«, sagte ich schließlich. »Lassen wir es dabei. Wenn du
die Wahrheit gesagt hast, werde ich gegenüber den Bullen dichthalten. Das gilt
nicht für meinen Kumpel mit der Beule. Aber vielleicht lässt er sich überreden,
auf eine Anzeige zu verzichten. Wie du das hier regelst, ist dein Bier.« Ich
zeigte auf den Scherbenhaufen am Boden.
    Er vergrub beide Fäuste in den Jackentaschen und sah mir
trotzig zu, wie ich den Mülleimer wieder an seinen angestammten Platz stellte.
Ich öffnete die Tür und trat auf den Flur. Draußen stand ein Schwarzer, über
zwei Meter hoch, mit einer geblümten Schürze vorm Bauch und einem Kochlöffel
von der Größe eines Tennisschlägers in der breiten Hand. Der Geruch von scharf
gebratenem Gemüse zog durch das Haus.
    »Hey, man!«, sagte der Schwarze. »Alles kla?«
    »Alles klar«, nickte ich. »Wir hatten Gesangsstunde, und mein
Schüler hat den Spiegel zersungen.«
    »Alles kla«, grinste der Schwarze. »Alles kla, man. Spiel
gesungen. Speedy sungen. Alles kla.« Er drehte sich um, wischte den
gigantischen Kochlöffel an seiner Schürze ab und begann, vor sich hin zu
trällern. Dazu schnippte er mit den Fingern einer Hand.
    Was er sang, verstand ich nicht. Vielleicht ging es um einen
afrikanischen Möbelkatalog.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

30
    Es machte plumps, als der Typ aus dem Fenster
sprang. So, wie es klingt, wenn man auf einer alten Matratze landet. Der Sprung
selbst war nicht der Rede wert, aber er erinnerte mich an das, was Marc
berichtet hatte: An dieser Stelle der Oper hatte er sich gefragt, warum Bernd
Nagel den Zuschauerraum verlassen hatte. Ich wandte den Kopf und entdeckte
einen der leeren Klappsitze in Nähe des Ausgangs. Ein Kinderspiel, sich zu
verdrücken, wenn der Trieb juckte.
    Christine legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel. Ich tat
ihr den Gefallen und zog mein Bein nicht fort.
    Da saßen wir also zu zweit in der Hochzeit des Figaro ,
und der alte Mozart tat sein Bestes, um mich Kulturbanausen zu missionieren.
Mit Erfolg? Nun, sagen wir mal so: Ich habe schon Schlimmeres erlebt. Die
Predigten meines Vaters zum Beispiel. Heimspiele des 1. FC Kaiserslautern. Mit
der Musik konnte ich leben, mit der Handlung des Stücks und den Figuren
meinetwegen auch, bloß zog sich das Ganze ziemlich in die Länge. Auf der Bühne
wurde gequatscht, was das Zeug hielt, natürlich nach Noten, schon klar, es gab
Intrigen, jeder wollte den anderen übers Ohr hauen und tat das dem werten
Publikum in ellenlangen Arien kund. Der Typ, der aus dem Fenster hüpfte, war
eine Art Liftboy, der von einer Frau gespielt wurde, was ihn – oder sie – nicht
davon abhielt, sich wiederum als Frau zu verkleiden und Frauen
hinterherzujagen. War es das, was Menschen wie Nagel und Covet an Opern reizte?
    Ein kühles Bier hätte meine Überlegungen in dieser Richtung
zweifellos beflügelt. So aber saß ich trocken im ersten Rang und versuchte, der
haarsträubend komplizierten Handlung zu folgen. Mein Reclam-Bändchen hatte ich
dabei, doch es war zu dunkel, um mitzulesen. Dass Deutsch gesungen wurde, half
kaum. Das Deutsch des einen klang koreanisch, das des anderen kurpfälzisch.
Außerdem wurde gesungen, nicht gesprochen. Sogar beim Sprung aus dem Fenster.
Plumps.
    Neben mir lächelte Christine selig vor sich hin. Sie genoss
den Abend. Und beileibe nicht als Einzige. Der Zuschauerraum war voll, ich sah
nicht einen freien Platz. Ob der Figaro immer so gut besucht war oder ob
die Leute aus lauter Sensationsgier zum Schauplatz des Mordes an Annette
Nierzwa strömten, wagte ich nicht zu beurteilen. Dass noch genügend Publikum
für die fünf Rabauken im
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