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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Karlstorbahnhof übrig blieb, konnte ich mir jedenfalls
nicht vorstellen.
    Frau Schröder hatte mir nicht irgendwelche, sondern sehr gute
Karten zukommen lassen. Vielleicht weil ich ihren Kaffee gelobt hatte. Wir
saßen vorne an der Seite und konnten so schräg von oben auf die Bühne und in
den Orchestergraben blicken. Christine geriet völlig aus dem Häuschen, als wir
um kurz vor acht unsere Plätze einnahmen.
    »Schau, hier«, sagte ich und zeigte auf die Instrumentalisten
unter uns. »Ich wollte unbedingt freie Sicht auf die Fagotte.«
    Da sperrte sie den Mund auf. »Moment mal«, sagte sie, als sie
ihn wieder zubekam. »Woher weißt du, was ein Fagott ist?«
    »Jahrelange Ermittlungsarbeit. Ich bin Profi.«
    »Willst du nicht eher freie Sicht auf die Fagottistin?«
    »Das hatte ich schon. Ich habe sogar mit ihr gesprochen. Zum
ersten und letzten Mal, fürchte ich.«
    Ich berichtete ihr von meiner zerstörerischen Attacke auf die
Mundstücke der Musikerin. Christine amüsierte sich prächtig. Die restlichen
Minuten bis zum Beginn der Ouvertüre verbrachte sie damit, die Besucher zu
mustern und sich für ihre absolut unpassende Kleidung zu entschuldigen.
    »Wieso denn das?« Ich begriff überhaupt nichts. »Das Zeug
passt dir doch.«
    »Aber nicht zu einem Opernbesuch, du Depp! Jeans und
kariertes Hemd, überleg mal.«
    Ich überlegte. Ohne Ergebnis. Flüsternd berichtete sie mir
vom Schicksal ihres kleinen Schwarzen, das bei der letzten Wäsche eingegangen
war, und ihres Abendkleids, aus dem sich die Rotweinflecken nicht entfernen
ließen.
    »Und in meiner besten Bluse sitzen die Motten, kannst du dir
das vorstellen? Reine Seide! Ich hätte fast abgesagt. Gut, dass du dich
wenigstens schick gemacht hast.«
    »Schick, ich? Was soll an mir schick sein?«
    »Diese Weste hattest du seit unserer Hochzeit nicht mehr an.«
    »Das ist eine Art Verkleidung. Ich bin dienstlich hier.«
    Sie runzelte die Stirn, kam aber nicht mehr dazu, etwas zu
entgegnen, denn in diesem Moment erlosch das Licht, und Barth-Hufelangs
Vertreter streckte den Kopf aus dem Orchestergraben.
    Über unsere Plätze konnten wir uns wirklich nicht beschweren.
Besser schienen mir nur noch die in der Mitte des ersten Ranges und in einer
der vier Logen ganz vorne. Von dort aus konnte man seinen Lieblingsschauspieler
am Ohr ziehen, wenn er den Text vergessen hatte. Oder einer Sängerin ein
Hustenbonbon zustecken. Je nachdem. Christine und ich hätten da schon ziemlich
genau zielen müssen.
    Nach einer Weile entdeckte ich Elke von Wonnegut in einer der
Logen. Neben ihr der Käferfreund mit den freundlichen Augen: Paul Stein, wie er
bis zu seiner Eheschließung geheißen hatte. Dem zerstreuten Zappelphilipp hätte
ich gar nicht zugetraut, einer Aufführung so gebannt und regungslos folgen zu
können. Bei seiner Frau wunderte mich etwas anderes: dass sie schon wieder hier
war. Schließlich hatte sie vor fünf Tagen die Premiere besucht. Gehörte sie zu
der Sorte von Klassikfans, die keine Aufführung auslassen? Oder sah sie dem
Ersatzmann für Barth-Hufelang auf die Finger? Flexibel war die Alte ja. Und
gerührt anscheinend auch. An besonders schönen Stellen wischte sie sich ein
Tränchen aus dem Augenwinkel. Wahrscheinlich trauerte sie den guten alten Figaro -Zeiten
nach, als Leute ihres Schlages noch in Schlössern residierten und das Personal
zu spuren hatte. Aber dann verstand Frau von Wonnegut das Stück nicht, denn bei
Mozart benahm sich die Dienerschaft ganz schön aufmüpfig.
    Wenn sich Frau Stein daran mal kein Beispiel nahm!
    »Ich spendiere einen Sekt«, verkündete Christine in der
Pause. »Keine Oper ohne Erfrischung!«
    Mit dieser Meinung stand sie nicht alleine da. Wir reihten
uns in eine Schlange von beängstigenden Ausmaßen ein, die vor Gesprächen nur so
vibrierte. Man kannte sich. Grüße flogen durch die Luft, beringte Hände
winkten, deodorierte Achselhöhlen öffneten sich schmatzend. Eine Frau von der
Statur einer Betonmischmaschine wedelte sich mit dem Programmheft Luft zu, vor
ihr dienerten ergraute Industriekapitäne. Grüppchenweise stand man beieinander,
parlierte, lästerte, schnappte wie Dackel nach Bemerkungen des Gegenübers. Oper
ohne Musik.
    »Klassik-Mob«, sagte ich verächtlich.
    »Aber du, ja? Du spielst natürlich in einer anderen Liga. Wo
steckt eigentlich die Frau, der wir die Karten verdanken?«
    »Die habe ich nicht gesehen. Und das ist gut so. Wenn sie
mich in meiner
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