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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Marcus Imbsweiler
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ich jedem dieser Bengel eine Tracht Prügel gab, wurde ich bis zur zweiten Stunde
nicht fertig und verstauchte mir nur die Hand. An Schallmos Schüler musste ich anders
ran.
    In der letzten Reihe standen zwei Mädchen auf und stellten sich ans
offene Fenster. Einen Popsong plärrend. Die mit der Wasserflasche hielt sich rülpsend
eine Hand vor den Mund. Dann packte sie einen Kaugummi aus. Selbst das Rehaugengirlie
begann, in einem Buch zu blättern.
    Schön, Leute. Ihr lasst mir keine andere Wahl.
    Ohne Hast nahm ich die Luftpumpe aus meinem Rucksack und hielt sie
einen Moment abwägend in den Händen. Dann stürzte ich auf einen der beiden Tischsitzer
zu, packte ihn am Kragen und rammte ihm die Pumpe gegen den Hinterkopf.
    »Hier hat ihn die Kugel getroffen«, brüllte ich mit allem, was die
Lunge hergab. »Hier! Und dann war er tot, euer Ethiklehrer. Kapiert ihr das? Tot!«
    Nun schau einer an.
    Mit einem derart durchschlagenden Erfolg hatte ich nicht gerechnet.
Es wurde augenblicklich mucksmäuschenstill im Klassenzimmer der Achten, so still,
dass mein Atem das einzige vernehmbare Geräusch war. Kein Popsong mehr, kein Rülpsen,
kein Fetzen einer Unterhaltung. Selbst mein Opfer war zur Salzsäule erstarrt. Sein
Kumpel daneben hatte sich umgedreht und glotzte mich mit einer Miene an, als sei
ich vom Himmel direkt in die Rohrwaldschule geplumpst.
    »Herr Schallmo ist ermordet worden«, sagte ich in die Stille hinein.
Ich musste nicht einmal die Stimme heben. »Können wir jetzt darüber reden?«
    Der Typ, den ich am Kragen gepackt hielt, brachte in Zeitlupe eine
zitternde Hand nach hinten, um die Luftpumpe vorsichtig zur Seite zu schieben. Ich
ließ ihn los.
    »Euren Mist könnt ihr gleich weitertreiben«, sagte ich und steckte
die Pumpe zurück. »Nachher in der Pause oder bei anderen Lehrern. Aber jetzt sprechen
wir über das, was Thorsten Schallmo zugestoßen ist. Und ihr beiden setzt euch normal
hin.«
    Ohne sich zu mucksen, leisteten die zwei Helden Folge.
    »Das dürfen Sie nicht«, kam es von der Seite. Dort saß ein türkischer
Junge im gestreiften Pullover, einen halben Kopf kleiner als seine Klassenkameraden.
Aber hier den starken Mann spielen! »Das ist Gewalt gegen Schüler, was Sie da machen.«
    »Gewalt?«, gab ich zurück. »Was Gewalt ist und was nicht, darüber können
wir zwei stundenlang streiten. Einen nicht zu Wort kommen zu lassen, ihm den Rücken
zudrehen, wenn er mit euch reden will, hat vielleicht auch was mit Gewalt zu tun.
Aber eines ist ganz sicher Gewalt: einer wehrlosen Person von hinten in den Kopf
zu schießen.«
    Der Türke schwieg. Eine Schülerin meldete sich: »Ist das dem Herrn
Schallmo passiert?«
    Ich nickte.
    Die Stimmung war gekippt. Schockstarre nennt man das wohl. Die Mädchen
saßen mit entsetzten Mienen da, die Jungs versuchten, ihre Betroffenheit hinter
einstudierten Grimassen zu verbergen. Was noch an Grinsen übrig blieb, war falsch
und verlegen. Die zwei Sängerinnen vom Fenster kehrten still an ihre Plätze zurück.
    »Und wer hat das getan?«, fragte ein Junge.
    »Keine Ahnung. Die Polizei ermittelt. Habt ihr eine Idee?«
    Natürlich, da schüttelten sie synchron die Köpfe. Niemand will etwas
mit einem Mörder zu tun haben, nicht einmal gedanklich.
    »Einen Moment, ihr macht es euch zu einfach.
Ich will, dass ihr nachdenkt, jeder von euch. Wer könnte etwas mit dem Tod von Herrn
Schallmo zu tun haben? Und was könnte dahinter stecken? Hatte er Feinde, war jemand
schlecht auf ihn zu sprechen? Gab es Drohungen? Hatte Herr Schallmo ungewöhnliche
Kontakte, spezielle Hobbys?«
    Sie schwiegen immer noch. Wichen meinem Blick aus, flüsterten miteinander.
Ich sah von einem zum nächsten, versuchte sie einzuschätzen: Wer war Leader der
Klasse, welche Gruppen gab es, wer würde als Erster plaudern? Es war wie beim Schachspiel.
Jeder hatte seine Rolle, seine Funktion. Es gab Bauern, die sich innerhalb der Gruppe
nur in kleinen Schrittchen vorwärtsbewegten, es gab Türme, die immer geradeaus polterten,
und Pferde, die im Zickzack hüpften. Und es gab eine Königin.
    Das Mädchen mit den Rehaugen war keine Königin. Trotzdem wandte ich
mich an sie: »Was war euer Lehrer für ein Mensch?«
    Sie erschrak. »Wieso? Ganz normal. Weniger streng als die anderen.
Und er war oft krank.«
    Pause. »Das ist alles?«
    »Ein Heuchler war er«, rief der türkische Schüler. »Ein elender Heuchler!«
Protest erhob sich, doch er fuhr fort: »Kommt uns mit Moral, der Typ, aber
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