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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm
Autoren: Kurt Tucholsky
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wilder Streit darüber aus, welche: die linke oder die rechte. Und so kamen wir nach Stockholm.
    Und fuhren zurück nach Deutschland.
    Berlin streckte die Riesenarme und langte über die See... »Wir müssen der Frau Kremser telegraphieren«, sagte die Prinzessin, »sicher ist sicher. Junge, haben wir uns gut erholt! Was möchtest du denn?« Das Kind hatte ein paarmal vor sich hingedruckst, hatte angesetzt und wieder abgesetzt. »Na?« – Nein, aufs Töpfchen mußte sie nicht. Sie wollte etwas fragen. Und tat es.
    »Sind Sie Landstreicher?« Wir sahen uns entgeistert an. »Die Frau Adriani hat gesagt...« Es stellte sich heraus, daß die Frau Adriani uns dem Kind als passionierte, ja als professionelle Landstreicher hingestellt hatte – »diese Landstreicher da draußen, die nicht mal verheiratet sind!« –, und das Kind, das jetzt völlig aufgetaut war, wollte nun alles wissen: ob wir Landstreicher wären, und was wir denn da anstrichen ... und ob wir schon mal verheiratet gewesen wären und warum nun nicht mehr, und dann mußte es aufs Töpfchen, und dann brachten wir es zu Bett. Ich ertappte mich dabei, ein wenig eifersüchtig auf das Kind gewesen zu sein. Wer war hier Kind? Ich war hier Kind. Nun aber schlief es, und Lydia gehörte mir wieder allein.
    »Bist du verheiratet?« fragte die Prinzessin. »Na, das hat noch gefehlt!« – »Alte«, sagte ich. »Nein, wir Landstreicher, wir sind ja nicht verheiratet. Und wenn wir es wären ... Fünf Wochen, das ginge gut, wie? Ohne ein Wölkchen. Kein Krach, keine Proppleme, keine Geschichten. Fünf Wochen sind nicht fünf Jahre. Wo sind unsre Kümmernisse?« – »Wir haben sie in der Gepäckaufbewahrungsstelle abgegeben ... das kann man machen«, sagte die Prinzessin. »Für fünf Wochen«, sagte ich. »Für fünf Wochen geht manches gut, da geht alles gut.« Ja... vertraut, aber nicht gelangweilt; neu und doch nicht zu neu frisch und doch nicht ungewohnt: Scheinbar unverändert lief das Leben dahin ... Die Hitze der ersten Tage war vorbei, und die Lauheit der langen Jahre war noch nicht da. Haben wir Angst vor dem Gefühl? Manchmal, vor seiner Form. Kurzes Glück kann jeder. Und kurzes Glück: es ist wohl kein andres denkbar hienieden.
    Wir rollten in Trelleborg ein. Es war spät abends; die weißen Bogenlampen schaukelten im Winde, und wir sahen zu, wie der Wagen auf die Fähre geschoben wurde. Das Kind schlief schon.
    Ein großer Passagierdampfer rauschte durch das Wasser in den Hafen. Alle Lichter funkelten: vorn die Schiffslaternen, oben an den Masten kleine Pünktchen, alle Kammern, alle Kajüten waren hellerleuchtet. Er fuhr dahin. Musik wehte herüber.
Whatever you do –
my heart will still belong to you –
     
    Eine Welle Sehnsucht schlug in unsre Herzen. Fremdes erleuchtetes Glück – da fuhr es hin. Und wir wußten: säßen wir auf jenem Dampfer und sähen den erleuchteten Zug auf der Fähre, wir dächten wiederum – da fährt es hin, das Glück. Bunt und glitzernd fuhr das große Schiff an uns vorüber, mit den Lichtpünktchen an seinen Masten. Die schwitzenden Stewards sahen wir nicht, nicht die Reeder in ihren Büros, nicht den zänkischen Kapitän und den magenkranken Zahlmeister ... natürlich wußten wir, daß es so etwas gibt – aber wir wollten es jetzt, in diesem einen Augenblick, nicht wissen.
Whatever you do –
my heart will still belong to you –
     
    Unsre Herzen fuhren ein Stückchen mit.
    Dann stand unser Wagen auf der Fähre. Das Schiff erzitterte leise. Die Lichter an der Küste wurden immer kleiner und kleiner, dann versanken sie in der blauen Nachtluft.
    Wir standen an Deck. Die Prinzessin sog den salzigen Atem des Meeres ein. »Daddy – ich bedanke mich auch schön für diesen Sommer!« – »Nein, Alte – ich bedanke mich bei dir!« Sie sah über die dunkle See. »Das Meer...«, sagte sie leise, »das Meer...« Hinter uns lag Schweden, Schweden und ein Sommer.
    Später saßen wir im Speisesaal in einer Ecke und aßen und tranken. »Auf den Urlaub, Alte!« – »Auf was noch?«
    »Auf Karlchen!« – »Hoch!«
    »Auf Billie!« – »Hoch!«
    »Auf die Adriani!« – »Nieder!«
    »Auf deinen Generalkonsul!« – »Mittelhoch!«
    »Das sind alles keine Trinksprüche, Daddy. Weißt du keinen andern? Du weißt einen andern. Na?«
    Ich wußte, was sie meinte.
    »Martje Flor«, sagte ich. »Martje Flor!«
    Das war jene friesische Bauerntochter gewesen, die im Dreißigjährigen Kriege von den Landsknechten an den Tisch gezerrt
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