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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm
Autoren: Kurt Tucholsky
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man so spricht,
    wenn man nichts zu sagen hat. Und der Dicke hatte uns in
    viele schöne Gegenden geführt, durch wundervolle, satte
    Wälder — „Hier sind schöne Läube!“ sagte er, und das war
    die Mehrzahl von „Laub“ — und nun fing die Prinzessin
    an, aufzumucken. „He lacht sik ’n Stremel“, sagte sie. „Mei-
    nen lieben guten Daddy! Wi sünd doch keine Rockefellers!
    Nu ornier doch endlich mal enägisch ne Dispositschon an,
    daßn weiß, woanz un woso!“
    Was nun — ? Der Dicke ging nachdenklich, aber mit
    der Welt soweit ganz zufrieden, vor uns hin; er stapfte mit
    seinem Stock auf das Pflaster und dachte emsig nach; man
    konnte an seinem breiten Rücken sehen, wie er dachte.
    Dann brummte er, denn er hatte etwas gefunden. „Wir
    fahren nach Mariefred“, sagte er. „Das ist ein kleiner Ort …
    das ist all right! Morgen fahren wir.“ Die Prinzessin sah
    mich unheilverkündend an. „Wenn wir da nichts finden,
    Daddy, dann stech ich dir inne Kleinkinnerbiewohranstalt
    und kutschier bei mein Alten nach Abbazia. Dor kannst
    du man upp aff!“
    Aber am nächsten Tage sahen wir etwas.
    Mariefred ist eine klitzekleine Stadt am Mälarsee. Es
    war eine stille und friedliche Natur, Baum und Wiese, Feld
    und Wald — niemand aber hätte von diesem Ort Notiz
    genommen, wenn hier nicht eines der ältesten Schlösser
    Schwedens wäre: das Schloß Gripsholm.
    Es war ein strahlend heller Tag. Das Schloß, aus ro-
    ten Ziegeln erbaut, stand leuchtend da, seine runden Kup-
    peln knallten in den blauen Himmel — dieses Bauwerk
    war dick, seigneural, eine bedächtige Festung. Bengtsson
    winkte dem Führer ab, Führer war er selber. Und wir gin-
    gen in das Schloß.
    Viele schöne Gemälde hingen da. Mir sagten sie nichts.
    Ich kann nicht sehen. Es gibt Augenmenschen, und es gibt
    Ohrenmenschen, ich kann nur hören. Eine Achtelschwin-
    gung im Ton einer Unterhaltung: das weiß ich noch nach
    vier Jahren. Ein Gemälde? Das ist bunt. Ich weiß nichts
    vom Stil dieses Schlosses — ich weiß nur: wenn ich mir
    eins baute, so eins baute ich mir.
    Herr Bengtsson erklärte uns das Schloß, wie er es sei-
    nen Amerikanern erklärt hätte, der Spiritus sang aus ihm,
    und nach jeder Jahreszahl sagte er: „Aber so genau weiß
    ich das nicht“, und dann sahen wir im Baedeker nach, und
    es war alles, alles falsch — und wir freuten uns mächtig.
    Ein Kerker war da, in dem Gustav der Verstopfte Adolf
    den Unrasierten jahrelang eingesperrt hatte, und so dicke
    Mauern hatte das Schloß, und einen runden Käfig für die
    Gefangenen gab es und ein schauerliches Burgloch oder
    eine Art Brunnen … Menschen haben immer Menschen
    gequält, heute sieht das nur anders aus. Aber am aller-
    schönsten war das Theater. Sie hatten in der Burg ein klei-
    nes Theater — vielleicht damit sie sich während der Be-
    lagerungen nicht so langweilen mußten. Ich setzte mich
    auf eines der Bänkchen im Zuschauerraum und führte mir
    eine Schäferkomödie auf, in der geliebt und gestochen, ge-
    schmachtet und zierlich gesoffen wurde — und nun wurde
    die Prinzessin sehr energisch. „Jetzt oder nie!“ sagte sie.
    „Herr Bengtsson — also!“
    Wie alle gutmütigen Männer hatte der Dicke Angst vor
    Frauen — er beugte seine Seele, wie der Wanderer den
    Rücken unter den Regenschauern beugt, und er strengte
    sich gewaltig an und ging gar sehr ins Zeug. Er telefonierte
    lange und verschwand.
    Nach dem Mittagessen kam er fröhlich an, sein Fett
    wogte vor Zufriedenheit. „Kommen Sie mit!“ sagte er.
    Das Schloß hatte einen Anbau — auf eine Frage hätte
    der Dicke sicherlich gesagt: aus dem einundzwanzigsten
    Jahrhundert … es war ein neuerer Bau, langgestreckt, glatt
    in der Fassade, hübsch. Wir gingen hinein. Drinnen emp-
    fing uns eine sehr freundliche alte Dame. Es ergab sich,
    daß hier in diesem Schloßanbau zwei Zimmer und dazu
    noch ein kleineres zu vermieten waren. Hier im Schloß?
    Zweifelnd sah ich Herrn Bengtsson an. Hier im Schloß.
    Und bekochen wollte sie uns auch. Aber würden uns denn
    nicht die zahllosen Touristen stören, die da kommen und
    die Gemälde und die Folterkammer sehen mußten? Sie kä-
    men nur sonntags, und sie kämen überhaupt nicht hierher,
    sondern sie gingen dortherum …
    Wir besichtigten die Zimmer. Sie waren groß und schön;
    alte Einrichtungsstücke des Schlosses standen darin, in ei-
    nem schweren behaglichen Stil; ich sah keine Einzelheiten
    mit meinen blinden Augen — aber es sprach zu
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