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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm
Autoren: Kurt Tucholsky
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ihnen
    federleicht, und die Konsonanten liegen etwa einen hal-
    ben Meter vor dem Mund und vergehen in der Luft, wie
    ein Gezirp. Bei den Schweden wohnt die Sprache weiter
    hinten, und dann singen sie so schön dabei … Ich protzte
    furchtbar mit meinen zehn schwedischen Wörtern, aber
    sie wurden nicht verstanden. Die Leute hielten mich sicher-
    lich für einen ganz besonders vertrackten Ausländer. Klei-
    nes Frühstück. „Die Bouillon“, sagte die Prinzessin, „sieht
    aus wie Wasser in Halbtrauer!“ — „So schmeckt sie auch.“
    Und dann fuhren wir gen Stockholm.
    Sie schlief.
    Der, der einen Schlafenden beobachtet, fühlt sich ihm
    überlegen — das ist wohl ein Überbleibsel aus alter Zeit,
    vielleicht schlummert da noch der Gedanke: er kann mir
    nichts tun, aber ich ihm. Dieser Frau gab der Schlaf wenig-
    stens kein dümmliches Aussehen; sie atmete fest und ru-
    hig, mit geschlossenem Mund. So wird sie aussehen, wenn
    sie tot sein wird. Dann liegt der Kopf auf einem Brett —
    immer, wenn ich an den Tod denke, sehe ich ein ungeho-
    beltes Brett mit kleinen Holzfäserchen; dann liegt sie da
    und ist wachsgelb und, wie uns andern scheint, sehr ehr-
    furchtgebietend. Einmal, als wir über den Tod sprachen,
    hatte sie gesagt: „Wir müssen alle sterben — du früher, ich
    später“ — in diesem Kopf war so viel Mann. Der Rest war,
    Gott seis gelobt, eine ganze Frau.
    Sie wachte auf. „Wo sind wir?“ — „In Rüdesheim an
    der Rüde.“ Und da tat sie etwas, wofür ich sie besonders
    liebte, sie tat es gern in den merkwürdigsten, in den psy-
    chologischen Augenblicken: sie legte die Zunge zwischen
    die Zähne und zog sie rasch zurück: sie spuckte blind. Und
    dafür bekam sie einen Kuß — auf dieser Reise schienen wir
    immer in leeren Abteilen zu sitzen — und gleich wandte
    sie einen frisch gelernten dänischen Fluch an: „Der Teufel
    soll dich hellrosa besticken!“, und nun fingen wir an, zu
    singen.
    In Kokenhusen
    singt eine Nachtigall
    wohl an der Düna Strand.
    Und die Nachtigall
    mit dem süßen Schall
    legt ein Kringelchen in mei – ne Hand —!
    Und grade, als wir im besten Singen waren, da tauchten
    die ersten Häuser der großen Stadt auf. Weichen knackten,
    der Zug schepperte über eine niedrige Brücke, hielt. Komm
    raus! Die Koffer. Der Träger. Ein Wagen. Hotel. Guten Tag.
    Stockholm.
    5
    „Was machen wir nun?“ fragte ich, als wir uns gewaschen
    hatten. Der Himmel lag blau über vier Schornsteinen — das
    war es, was wir zunächst von Stockholm sehen konnten.
    „Ich meine so,“ sagte die Prinzessin, „wir nehmen uns erst
    mal einen Dolmetscher — denn du sprichst ja sehr schön
    schwedisch, sehr schön … aber es muß altschwedisch sein,
    und die Leute sind hier so ungebildet. Wir nehmen uns ei-
    nen Dolmetscher, und mit dem fahren wir über Land und
    suchen uns eine ganz billige Hütte, und da sitzen wir still,
    und dann will ich nie wieder einen Kilometer reisen.“
    Wir spazierten durch Stockholm.
    Sie haben ein schönes Rathaus und hübsche neue Häu-
    ser, eine Stadt mit Wasser ist immer schön. Auf einem Platz
    gurrten die Tauben. Der Hafen roch nicht genug nach Teer.
    Wunderschöne junge Frauen gingen durch die Straßen …
    von einem gradezu lockenden Blond. Und Schnaps gab es
    nur zu bestimmten Stunden, wodurch wir unbändig gereizt
    wurden, welchen zu trinken — er war klar und rein und
    tat keinem etwas, solange man nüchtern blieb. Und wenn
    man ihn getrunken hatte, nahm der Kellner das Gläschen
    rasch wieder fort, wie wenn er etwas Unpassendes begün-
    stigt hätte. In einem Schaufenster der Vasagatan lag eine
    schwedische Übersetzung des letzten berliner Schlagers.
    Eh — und sonst haben Sie nichts von Stockholm gesehn?
    Was? Der Nationalcharakter … wie? Ach, lieben Freunde!
    Wie einförmig sind doch unsre Städte geworden! Fahrt nur
    nach Melbourne — ihr müßt erst lange mit den Kaufleu-
    ten konferieren und disputieren; ihr müßt, wenn ihr sie
    wirklich kennenlernen wollt, ihre Töchter heiraten oder
    Geschäfte mit ihnen machen oder, noch besser, mit ihnen
    erben; ihr müßt sie über das aushorchen, was in ihnen ist …
    sehn könnt ihr das nicht auf den ersten Blick. Was seht ihr?
    Überall klingeln die Straßenbahnen, heben die Schutzleute
    ihre weißbehandschuhten Hände, überall prangen die bun-
    ten Plakate für Rasierseife und Damenstrümpfe … die Welt
    hat eine abendländische Uniform mit amerikanischen Auf-
    schlägen angezogen.
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