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Schloß der verlorenen Seelen

Schloß der verlorenen Seelen

Titel: Schloß der verlorenen Seelen
Autoren: Anne Alexander
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hinter ihm das kleine Zimmer, in dem ihre Schwester lag.
    Laura wirkte in dem riesigen Bett wie eine weggeworfene Puppe. Ihr Gesicht war so klein und blaß, das es für einen Moment auf Camilla völlig fremd wirkte. Die Augen hatte sie geschlossen. Ihre blonden Locken kringelten sich wirr auf dem Kissen. Überall in ihrem schmächtigen Körperchen steckten Drähte und Schläuche. Laura schien Teil einer gewaltigen Maschinerie zu sein. Camilla spürte das Verlangen, ihre Schwester einfach zu nehmen und mit ihr davonzulaufen.
    Dr. Durand rückte einen Stuhl für sie ans Bett. “Setzen Sie sich”, bat er. “Nehmen Sie ruhig die Hand Ihrer Schwester.”
    Sie setzte sich auf die äußerste Kante des Stuhls. Vorsichtig griff sie nach Lauras Händchen. Plötzlich schlossen sich die Finger der Siebenjährigen um ihre eigenen. Camilla sah überrascht den Arzt an.
    “Vermutlich nur eine Reflexbewegung”, meinte Dr. Durand nach einem Blick zu den Monitoren. “Allerdings könnte es auch ein Zeichen sein, daß Laura langsam zu sich kommt.”
    Jetzt schaute auch Camilla zum Monitor. Sie bemerkte einige Unregelmäßigkeiten. Die Linien bewegten sich etwas schneller als zuvor auf und ab. Doch dann wurden sie wieder gleichmäßiger, um Sekunden später erneut auszuschlagen.
    “Cathy”, flüsterte Laura. “Cathy.”
    “Was ist mit Cathy?” fragte Camilla. “Laura, sag mir, was ist mit Cathy.” Sie strich sanft über das Gesichtchen ihrer Schwester.
    Lauras Augen öffneten sich. Blicklos starrten sie zur Decke hinauf und fielen wieder zu.
    “Ist sie zu sich gekommen?” fragte die junge Frau erregt. “Sie hatte doch die Augen aufgeschlagen. Laura! Laura!”
    “Nein, Ihre Schwester ist noch nicht zu sich gekommen”, erwiderte der Arzt mitleidig. “Bitte, haben Sie etwas Geduld. Sprechen Sie mit ihr.”
    Camilla nickte. Leise und dennoch eindringlich erzählte sie ihrer Schwester von gemeinsamen Erlebnissen. Sie sprach von dem Hund ihrer Nachbarn, und wie sie vor einigen Wochen mit diesem Hund spazierengegangen waren. “Watson wird sich freuen, dich wiederzusehen. Sicher kann er es kaum mehr erwarten.”
    Dr. Durand ging hinaus. Lautlos schloß sich die Tür hinter ihm.
    Die junge Frau wußte, sie durfte keine Wunder erwarten, und dennoch hoffte sie von Minute zu Minute darauf, daß Laura endlich erwachen würde. Sie hatte von Patienten gehört, die Monate und Jahre im Koma lagen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie es ertragen sollte, wenn auch ihre Schwester gleiches erdulden mußte. Du mußt wieder aufwachen, dachte sie, du mußt! Zärtlich drückte sie Lauras Hand.
    Wieder rief Laura nach Cathy.
    “Wer ist Cathy?” fragte Camilla und hoffte, damit ihre Schwester in die Wirklichkeit zurückzureißen. “Erzähl mir, wer Cathy ist. Sprich mit mir über sie. Laura!”
    Aber Laura reagierte nicht.
    Camilla blickte auf ihre Schwester hinunter. Sie wußte, sie würde sie niemals aufgeben. Sie würde Tag für Tag an Lauras Bett sitzen und darauf warten, daß das kleine Mädchen wieder zu sich kam. Ihre Mutter und ihr Stiefvater waren tot. Sie hatte nur noch Laura. Sie war es ihrer Mutter schuldig, sich um ihre Schwester zu kümmern. Noch deutlich konnte sie sich des Tages erinnern, an dem man ihr Laura zum erstenmal in die Arme gelegt hatte; er gehörte zu den glücklichsten ihres Lebens.
    “Du wirst wieder gesund, Laura”, sagte sie leise. “Ganz gewiß wirst du wieder gesund. Schon bald wirst du dieses Bett verlassen können. Ich werde dafür sorgen, daß du glücklich wirst und das Schwere vergißt, das hinter dir liegt.” - Und wenn dieser Tag niemals kommen wird? dachte sie verzweifelt. Wenn… Er wird kommen, schwor sie sich. Er muß!
    4. Kapitel
    Die Randalls wurden unter großer Anteilnahme in ihrem Familiengrab auf dem alten Cambridger Friedhof beigesetzt. Unter den Trauergästen befanden sich auch viele Studenten, die Steven Randall während der letzten drei Jahre unterrichtet hatte.
    Camilla war zur Beerdigung ihrer Angehörigen nach England zurückgekehrt. Noch immer konnte sie es kaum fassen, daß ihre Mutter nicht mehr lebte, und sie empfand auch echte Trauer um Steven. Auch wenn sie und ihr Stiefvater sich niemals vertragen hatten, er hatte zu ihrer Familie gehört.
    Ich wünschte, du hättest auf mich gehört, Mom, dachte sie, als sie einen Strauß roter Rosen in das Grab hinunterwarf. Nachts träumte sie oft von jenem Morgen in ihrer Wohnung. Sie sah Laura auf die Terrasse treten und hörte
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