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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard
Autoren: Sommerlügen
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kurzlebiger
noch als die Liebe. Sie würde am nächsten Tag wieder nach Hause fahren.
     
    8
     
    Aber
als sie am nächsten Morgen um neun an Emilias Tür
klopfte, kam keine Antwort, und als sie auf die Frühstücksterrasse trat, saß Emilia an keinem der Tische. Sie ging zum Empfang und erfuhr, die
junge Dame sei vor einer halben Stunde aus dem Haus gegangen.
    »Hat
sie eine Nachricht hinterlassen?«
    Nein,
das hatte sie nicht. Aber nach einer Weile kam das freundliche Mädchen vom
Empfang an den Frühstückstisch und berichtete, die junge Dame habe angerufen
und lasse ausrichten, sie werde um zwölf kommen und die Großmutter zum
Mittagessen abholen.
    Ihr
passte nicht, dass sie hier festsaß. Sie hatte um zehn aufbrechen, um elf auf
der Autobahn und um vier zu Hause sein wollen. Aber dann schickte sie sich ins
Warten. Die Sonne schien in den Innenhof und auf die Frühstücksterrasse, und
die Bedienung quälte sie nicht und schickte sie nicht zum Büfett, sondern
brachte ihr von dort, worum sie bat. Tomaten mit Mozzarella, geräucherte
Forelle mit Sahnemeerrettich, Obstsalat mit Joghurt und Honig - nach dem
Verlust des Geschmacks bissen und kauten sich verschiedene Speisen doch immer
noch verschieden. Wie sich nach dem Verlust der Liebe die verschiedenen Kinder
und Enkel immer noch verschieden anfühlen, dachte sie. Wie ich das weiche,
kompakte Fleisch der Forelle neben dem wattigen Sahnemeerrettich immerhin ein
bisschen genieße, sollte ich es mit den Kindern und Enkeln auch halten. Hatte Emilia gestern Abend in der Stadt einen Jungen kennengelernt, um
den sie sich jetzt so energisch kümmerte, wie sie sich um sie und die Wünsche
der Eltern gekümmert hatte? Ja, sie war energisch, kräftig, tüchtig. Zugleich
hatte sie ein großes Herz. Sie würde eine gute Ärztin werden.
    Sie
blieb sitzen, bis die Tische für das Mittagessen gerichtet wurden. Ihr Gesicht
glühte; sie hatte sich der prallen Sonne ausgesetzt und einen leichten
Sonnenbrand geholt. Sie war auch ein bisschen benommen, als sie aufstand, ins
Foyer ging und sich in einen Sessel setzte. Sie schlief ein und wachte auf, als Emilia auf der Armlehne des
Sessels saß und ihr mit einem Taschentuch den Mund abwischte.
    »Habe
ich im Schlaf gesabbert?«
    »Hast
du, Großmutter, aber das macht nichts. Ich habe ihn gefunden.«
    »Du
hast...«
    »Ich
habe Adalbert Paulsen gefunden. Es war einfach - er steht im Telefonbuch. Ich
weiß auch, dass er hier an der Universität Professor für Philosophie war und
Witwer ist und eine Tochter hat, die in Amerika lebt. Die Bibliothekarin des
Philosophischen Seminars hat mir die Bücher gezeigt, die er geschrieben hat -
ein ganzes Fach.«
    »Lass
uns nach Hause fahren.«
    »Willst
du ihn nicht sehen? Du musst ihn sehen! Deshalb sind wir doch hierhergekommen.«
    »Nein,
wir sind...«
    »Vielleicht
ist es dir nicht bewusst. Aber glaub mir, dein Unterbewusstes hat dich
hierhergeführt, damit du ihn wiedersiehst und ihr euch versöhnt.«
    »Wir
sollen uns...«
    »Ja,
ihr sollt euch versöhnen. Du musst ihm verzeihen, was er dir angetan hat.
Anders findest du keinen Frieden, und er findet auch keinen. Ich bin sicher,
dass er sich danach sehnt und nur nicht traut, weil du ihn damals in Hamburg
hast abblitzen lassen.«
    »Lass
gut sein, Emilia. Pack
deine Sachen. Wir essen unterwegs zu Mittag.«
    »Ich
habe dich für vier bei ihm angemeldet.«
    »Du
hast mich...«
    »Ich
war dort, ich wollte wissen, wie er lebt, und wo ich schon dort war, dachte
ich, ich kann dich gleich anmelden. Er hat ein bisschen gezögert, wie du, aber
dann war er einverstanden. Ich glaube, er freut sich auf dich. Er ist gespannt
auf dich.«
    »Das
sind zwei verschiedene Sachen. Nein, Kind, das war keine gute Idee von dir. Du
kannst ihn anrufen und ihm absagen, oder ich komme einfach nicht. Ich will ihn
nicht sehen.«
    Aber Emilia ließ nicht locker. Sie
habe nichts zu verlieren, sie habe nur zu gewinnen, ob sie nicht spüre, dass
sie immer noch bitter sei und nicht bleiben dürfe, ob sie nicht verstehe, dass
man, wo man verzeihen und Gutes tun könne, es auch tun müsse, ob sie denn
überhaupt nicht neugierig sei, dies sei das letzte Abenteuer, das ihr das Leben
biete. Emilia redete
und redete, bis ihre Großmutter erschöpft war. Sie konnte dieses Kind, das von
sich und seinen psychologischen Plattheiten und seiner psychotherapeutischen
Mission so überzeugt war, einfach nicht länger ertragen. Also gab sie nach.
     
    9
     
    Emilia bot an, sie zu fahren, aber
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