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Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Autoren: Daniel Wiechmann
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Der ohrenbetäubende Lärm der Peitsche entsteht durch eine überschallschnelle Bewegung der Peitsche. Bei der handelt sich um einen biegsamen Stock, an dessen Ende ein Hanfseil geknüpft ist. Am Ende des Seils wiederum ist der Schmitz, eine dünne Bast- oder Nylonschnur, eingeflochten. Dieser Schitz ist maßgeblich verantwortlich für den lauten Knall.
    Max gab mir die Goaßl. »Probier’s mal«, forderte er mich auf.
    »Nein! Ich finde das einen rechten Schmarrn, und man muss so was auch Kindern nicht beibringen.«
    »Wieso? Des is a alte bayerische Tradition.«
    »Auspeitschen?«
    »Wenn du des mit der Goaßl nicht schon als Kind lernst, dann schaffst des net. Dafür brauchst oan Rhythmus, a Gfühl.«
    Max erklärte mir, dass es regelrechte Wettbewerbe gab, bei denen trainierte Goaßlschnalzer mit aberwitzigen Klangfolgen gegeneinander antraten. Wieder schwang er die Peitsche durch die Luft. Wieder ertönte ein ohrenbetäubender Lärm. Ich nahm Oskar seine Peitsche ab und ließ Max mit den anderen Kindern allein.
    Es war Zeit fürs Mittagessen, und Max fragte mich, ob ich Kartoffeln schälen könnte. Wir unterhielten uns übers Essen, und Max begann eine Geschichte zu erzählen.
    »I woar amoi in einem Restaurant in China, da hat ein Kerl in drei Minuten aus einem Fladen Teig hunderte Nudeln gemacht. Richtige dünne Nudeln. Einfach, indem er den Teig geknetet und durch die Luft gewirbelt und am Ende auseinandergeschnitten hat. Des war der Wahnsinn. Es dauert Jahre, bis man das lernt. Höchstwahrscheinlich gibt’s eine Maschine, die in drei Minuten die zehnfache Menge Nudeln macht. Aber wenn eine Maschine des macht, dann staun ich nicht darüber. Aber wenn einer drei Jahre seines Leben lernt, wie er den Teig richtig schwingen und werfen muss, damit daraus Nudeln werden, dann ist des oa Kunst. So was darf net aussterben.«
    Ich wusste genau, dass Max nicht von Nudeln, sondern von etwas ganz anderem sprach. »Mit einem Teigfladen kannst du aber andere nicht verletzen!«, entgegnete ich ihm.
    »Woist, wenn ein Tier vom Aussterben bedroht wird, dann spendet oaner wie du a Geld. Dann stehn zig Organisationen und Vereine vor der Tür und schreien, dass man das Tier doch net verreckn lassen koa. Selbst wenn das oan gefährliches Raubtier ist. Aber wenn a Tradition ausstirbt, wenn’s koanen mehr gibt, der zum Beispiel mit der Goaßl schnalzen koa, dann seids froh, dass die alten rückwärtsgewandten Zeiten endlich vorbei san. Da koa die Evolution ruhig ihren Lauf nehma.«
    Ich streckte die Waffen. »Passiert da auch nix!?«
    »Wär schad, wenn da nix passieren tät … weil dann ja nix passiert!«, lachte Max. Das war ja wohl logisch. Auf bayerische Art.
    Ich lag im Iglu und dachte an Räuber. Alles um mich herum war schwarz. Ich meine, wenn ich zu Hause im Bett lag und die Augen geschlossen hatte, war es heller als in diesem Iglu. Ich starrte in die Dunkelheit und wartete darauf, dass sich irgendwelche Konturen des Daches vor meinem Auge abzuzeichnen begannen. Nichts geschah. Alles, was ich sah, war undurchdringliches, gleichmäßiges Schwarz. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass es so dunkel sein konnte. Ich horchte in die Stille hinein. Ein bisschen gruselig war das Ganze schon. Ich zog meinen Schlafsack bis zur Nasenspitze, obwohl mir gar nicht kalt war. Rainer hatte in das Iglu ein Bett aus Schnee gebaut, das mit Stroh gepolstert war, darüber lag eine Isomatte, und auf der lag ich. Im Schlafsack. Diese Stille. Ich würde die ganze Nacht lang kein Auge zutun. Dabei sagen Schlafforscher doch immer, dass Dunkelheit und Stille gut wären und dass der Lichtmüll und der ständige Lärm der Städte den modernen Menschen um seinen erholsamen Schlaf brächten. Keine Ahnung, wo diese Forscher ihre Untersuchungen machten, aber in einem Iglu in den Bergen bestimmt nicht. Ich zündete eine Kerze an. Eine Minute später pustete ich sie wieder aus. Die sich bewegenden Schatten, die durch das Flackern der Kerze entstanden, waren noch unheimlicher als die pechschwarze Dunkelheit.
    Als ich dann tatsächlich Geräusche draußen vor dem Iglu hörte, hielt ich die Luft an. War das ein Tier? Wenn ja, war es gefährlich? Hielten Bären nicht Winterschlaf? Es waren Schritte. Die Schritte kamen näher. Das war kein Tier! Tiere haben keine Taschenlampen. Hinter dem Eingang des Iglus tanzte ein Lichtschein auf und ab.
    »Sei sveglio – bist du wach?«, hörte ich Francescas vertraute Stimme. Mit fiel ein Stein vom Herzen. Was machte sie
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