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Schlaflos

Schlaflos

Titel: Schlaflos
Autoren: Monika Bender
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Adern der Beute. Sie hatte zu lange gewartet und war jetzt ihrem Ziel zu
nahe, um sich noch zurückhalten zu können.
    Madeleine schlang einen Arm um den Nacken des Sterblichen,
der sich willig vorbeugte, den Kopf zur Seite drehte, ihr seine Kehle darbot.
Mit einem erwartungsvollen Seufzen versenkte sie ihre Fänge in seiner
Halsschlagader.
     
    Der Platz hinter dem Klub lag im Dunkeln. Nur der blasse
Schein des Mondes und wenige, helle Sterne kamen gegen den Großstadtdunst an.
Madeleine war allein an diesem Ort. Aus einem Türspalt hinter ihr drang dumpf
der Nachhall der Technobeats. Das Metalltor war ein Notausgang. Durch ihn hatte
Madeleine sich aus dem Staub gemacht. Ihr Opfer blieb bewusstlos im Keller
zurück.
    Später würde sie sich Vorwürfe machen. Wenn die Sonne wieder
am Himmel stand und ihre Vampirnatur verblasste. Sie hätte nicht so lange
warten dürfen. In ihre Gier hätte sie beinahe die Beherrschung verloren. Der
junge Mensch war nur ein wenig geschwächt, würde sich schnell erholen. Aber es
hätte schief gehen können. Wenn er weniger kräftig, sein Herz schwächer gewesen
wäre. Oder wenn sie noch ein paar Minuten länger die Kontrolle verloren hätte.
Sie durfte es nie wieder so lange hinauszögern!
    Im Augenblick flatterten die Gedanken in ihrem Kopf umher wie
Schmetterlinge. Nichts war wichtig, nichts blieb lange. Sie war berauscht, vom
Mondlicht ebenso wie vom Blut.
    So warm der Tag gewesen war, jetzt wurde es empfindlich kühl.
Dennoch fror sie nicht. Die kalte Luft umarmte und streichelte sie, während sie
sich im Mondschein wiegte, wie zu einer Melodie. Ihr silberhelles Lachen
begleitete ihre übermütigen Sprünge. Sie drehte sich in einer Pirouette. Die
Nacht war wunderbar und es war herrlich zu sein!
    Ein anderes Lachen antwortete ihr, ließ sie erstarren. Das
Gelächter klang rau und böse. Es wurde lauter, bestand aus vielen Stimmen, die
sie umkreisten.
    »Wie amüsant, Madeleine. Schade, dass wir diese kleine
Einlage unterbrechen müssen. Der Meister ist ungeduldig.«
    Eine große, breitschultrige Gestalt schälte sich aus der
Dunkelheit. In einen schwarzen Mantel gehüllt und mit dem dunklen Haarschopf
war es leicht für ihn, mit der Nacht zu verschmelzen.
    Es gab keinen Fluchtweg mehr. Von allen Seiten kamen
schattenhafte Gestalten auf sie zu. Jemand warf die Stahltür ins Schloss. Der
dumpfe Schlag hallte durch die Nacht.
    »Du bist so leichtsinnig, Madeleine. Bastien hat dich richtig
eingeschätzt.«
    Wütendes Fauchen stieg in ihrer Kehle auf. Bastien hatte mehr
seiner Schergen aufgeboten als je zuvor. Aber sie würde es ihnen nicht leicht
machen. Das grade aufgenommene Blut stärkte sie und die Magie der Nacht ließ
nicht zu, dass Furcht aufkam. Sie sprang aus dem Stand in die Luft, mehrere
Meter hoch, und mitten im Sprung verwandelte sie sich. Der Rabe breitete seine
Schwingen aus und gewann schnell an Höhe.
    Sie sah sich nicht um, denn sie hörte die Flügelschläge der
Verfolger dicht hinter sich. Mehrfach pickten harte Schnäbel nach ihren
Schwanzfedern und Schwingen. Einem gelang es, ihr eine Schwungfeder zu zupfen.
Der Schmerz und der Schreck brachten sie beinahe ins Trudeln, doch sie fing
sich, bevor die Schergen es ausnutzen konnten.
    Sie stieg immer weiter empor in den dunstigen Himmel.
Geschickt nutzte sie die Winde um ein Hochhaus, um sich höher zu schrauben. Das
Gebäude war noch erwärmt von dem sonnigen Tag.
    Ein gefiederter Verfolger stieß zwischen den Glasfassaden
hervor, hackte nach ihren Augen, schnappte nach ihrer Kehle. Er musste hier
oben auf sie gewartet haben.
    Sie wich aus. Ihr Flug geriet außer Kontrolle. Ihr Flügel
streifte die Fassade des Büroturmes. Greller Schmerz durchzuckte ihre Schulter.
Sie stürzte.
    Die anderen Raben folgten ihrem fallenden Körper, das spürte
sie. Aber statt des erwarteten Triumphgeschreis hörte sie hinter sich Rufe des
Entsetzens. Die Schergen flatterten wild durcheinander.
    Sie konnte nicht darauf achten, was vor sich ging. Wenn sie
ihren Sturz nicht unter Kontrolle brachte, würde sie mit gebrochenen Knochen in
der Gosse landen. Endlich gelang es ihr, sich wieder auszurichten, die Flügel
auszubreiten ... doch es war zu spät. Die kiesbestreute Dachfläche kam rasend
schnell auf sie zu. Kies spritzte in alle Richtungen und Schmerz durchzuckte
ihren Leib. Sie schrie den schrillen Schrei eines Vogels. Dann hörte sie das
Ächzen und Wimmern ihrer menschlichen Gestalt. Ihre Schulter fühlte sich an,
als stecke ein
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