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Schindlers Liste

Schindlers Liste

Titel: Schindlers Liste
Autoren: Thomas Keneally
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an einem jener Dachbalken, an welchen Untersturmführer Leipold noch kürzlich alle jüdischen Häftlinge hatte aufhängen wollen. Einige Gefangene suchten die Hinrichtung zu verhindern, vergeblich. Diese erste Mordtat nach Ende des Krieges wurde von vielen Häftlingen bedauert. Sie hatten mit angesehen, wie Göth den armen Krautwirt auf dem Appellplatz von Plaszow hängen ließ, und auch diese Exekution erfüllte sie mit Entsetzen, wenn sie auch · aus ganz anderen Gründen vorgenommen wurde. Denn Göth blieb unveränderbar Göth, während diese Henker ihre Brüder waren.
    Man ließ den Leichnam über den stillstehenden Maschinen hängen. Der Anblick erfüllte die Betrachter indessen mit Unbehagen; obwohl sie eigentlich hätten jubeln sollen, empfanden sie Zweifel. Schließlich wurde die Leiche abgeschnitten und verbrannt. Auch daran, daß die einzige in Brünnlitz verbrannte Leiche die eines Ariers war, zeigt sich, ein wie ungewöhnliches Lager Brünnlitz gewesen ist.
    Am nächsten Tag beschäftigte man sich mit der Verteilung der von Schindler zurückgelassenen Textilien. Tuchballen wurden zerschnitten. Mosche Bejski berichtet, daß jeder Gefangene drei Meter Stoff bekam, eine Garnitur Unterwäsche und Nähgarn. Manche Frauen begannen sogleich, Kleidung anzufertigen, in der sie die Heimreise antreten wollten, andere hoben das Material zu Tauschzwecken während der bevorstehenden unsicheren Zeiten auf.
    Dann wurden die Zigaretten verteilt, die Schindler aus dem Depot in Brunn geholt hatte, und Salpeter gab aus seinen Vorräten pro Person eine Flasche Wodka aus, der von den wenigsten getrunken wurde, denn er war einfach zu kostbar.
    Am Abend dieses zweiten Tages näherte sich aus Richtung Zwittau eine Panzerabteilung.
    Feigenbaum, der auf Außenposten stand, war versucht, auf den ersten Panzer zu schießen, der am Lager vorüberfuhr, unterließ es jedoch. Ein Fahrzeug nach dem anderen rasselte vorbei.
    Aus dem letzten Panzer wurde von einem Kanonier, der aus der Stacheldrahtumzäunung und den Wachtürmen auf die mögliche Anwesenheit jüdischer Verbrecher schloß, zwei Granaten ins Lager gefeuert, von denen eine im Hof, die andere auf dem Balkon vor dem Frauenlager detonierte. Das war eine Demonstration des bösen Willens, die keiner der Bewaffneten erwiderte, teils aus Verblüffung, teils aus Klugheit.
    Als der letzte Panzer verschwunden war, brachen die Frauen in ein durchdringendes Klagegeheul aus. Eine junge Frau war von Granatsplittern verletzt worden, und dieser Anblick hatte in den Frauen die Schleusen geöffnet, hinter denen sich der Jammer der letzten Jahre aufgestaut hatte. Die Ärzte stellten fest, daß die Verletzungen der jungen Frau nicht bedeutend waren.
    Schindlers Geleitzug schloß sich einer Wehrmachtskolonne an. In der Dunkelheit blieben sie unbehelligt. Sie hörten Detonationen, die von deutschen Sprengkommandos ausgelöst wurden, und gelegentlich Gewehrfeuer, vermutlich Schußwechsel mit tschechischen Partisanen. Unweit Deutsch-Brod verloren sie die Kolonne und wurden bald darauf von Partisanen angehalten. Schindlet spielte die Rolle des Häftlings. Reubinski kletterte aus dem Lastwagen und beteiligte sich an dem Verhör. Auf Befragen gab er an, einen Karabiner im Wagen zu haben. Die Tschechen forderten ihn auf, den herauszugeben, was nur in seinem eigenen Interesse liege, denn sollten sie Russen in die Hände fallen und bewaffnet sein, würden die kurzen Prozeß mit ihnen machen. Die Häftlingskleidung sei ohnehin ihr bester Ausweis. Im übrigen müsse man in Deutsch-Brod immer noch mit versprengten deutschen Nachzüglern rechnen, und beim Roten Kreuz auf dem Marktplatz seien Schindler und die Seinen am besten aufgehoben. Die Leute vom Roten Kreuz waren noch vorsichtiger — am sichersten wären die Häftlinge im städtischen Gefängnis. Also ließ man die Fahrzeuge vor der Hilfsstation des Roten Kreuzes auf dem Platz stehen, Schindlers und die übrigen nahmen ihr Handgepäck und legten sich in den unversperrten Zellen zum Schlafen nieder.
    Am folgenden Morgen waren ihre Fahrzeuge ausgeschlachtet. Türverkleidungen und Polster des Mercedes waren fort, damit auch die Diamanten, ferner die Räder und Teile der Motoren.
    Die Tschechen betrachteten das gelassen: In solchen Zeiten muß man mit Verlusten rechnen. Es ist auch möglich, daß sie den athletischen Schindler mit den blauen Augen für einen verkleideten SS-Mann gehalten haben.
    Nun verfügte man nicht mehr über eigene Transportmittel,
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