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Schindlers Liste

Schindlers Liste

Titel: Schindlers Liste
Autoren: Thomas Keneally
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Lagerinsassen ihr Gefängnis verteidigten. »Sie haben gesehen, daß hier Typhus herrscht?« sagte Pfefferberg und deutete auf eines der Schilder. Die SS-Leute blickten einander an. »Vierzehn unserer Leute sind schon gestorben, und im Keller liegen noch weitere fünfzig.«
    Das machte Eindruck. Überdies waren die SS-Leute müde, waren auf der Flucht. Das reichte ihnen völlig, auf Typhusbakterien wollten sie gern verzichten.
    Mit gefüllten Zwanzigliterkanistern verließen sie das Lager, tankten auf und setzten die Kanister, die sie in den Seitenwagen nicht unterbringen konnten, ordentlich am Zaun ab. Sie streiften die Handschuhe über, traten die Motoren an und fuhren nach Südwesten davon. Für die Posten am Tor war dies die letzte Begegnung mit Männern in der Uniform von Himmlers teuflischen Legionen.
    Als das Lager dann am Morgen des dritten Tages befreit wurde, geschah dies durch einen einzelnen russischen Offizier. Er näherte sich der Fabrik zu Pferde, auf einem kleinen Panjepferd, wie sich erwies, als er näher kam; die Füße des Reiters berührten fast den Boden, obwohl der die Knie hochgezogen und eng an den mageren Bauch seines Pferdchens gepreßt hielt. Seine Uniform war zerschlissen, der Riemen des Gewehrs fast durchgewetzt und mit einem Strick verstärkt. So hatte es den Anschein, als habe er ganz persönlich und eigens zu ihrer Befreiung Krieg geführt. Auch der Zaum des Pferdes war nicht aus Leder, sondern ein Strick. Der Offizier war hellhäutig und wirkte auf die Polen wie alle Russen ungeheuer fremd und zugleich ungemein vertraut.
    Nach einem kurzen geradebrechten Wortwechsel, halb polnisch, halb russisch, ließen die Posten ihn ein. Die Frauen kamen hervor, als sie von seiner Ankunft hörten, und als er absaß, wurde er von Frau Krumholz umarmt. Er lächelte und verlangte auf russisch und polnisch einen Stuhl. Der wurde gebracht.
    Er stieg hinauf, obwohl er die Häftlinge ohnehin überragte, undhielt eine Rede, offenbar die Standardansprache anläßlich der Befreiung von Häftlingen. Mosche Bejski verstand ihn einigermaßen. Sie seien von der ruhmreichen Sowjetarmee befreit worden, könnten das Lager unbedenklich verlassen, hingehen, wohin sie wollten. Denn die Sowjets machten keinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden, Männern oder Frauen, Freien oder Gefangenen.
    Sie sollten in der Stadt nicht ihre Rachegelüste befriedigen, das wäre Sache der Befreier, die ihre Bedrücker aufspüren und ihrer Strafe zuführen würden. Ihre neugewonnene Freiheit sollten sie über alles andere stellen.
    Er stieg vom Stuhl und ließ merken, daß damit der offizielle Teil erledigt und er bereit sei, auf Fragen zu antworten. Als Bejski und andere ihn umdrängten, deutete er auf sich und sagte in unsicherem weißrussischen Jiddisch - wie es noch die Großeltern, nicht aber mehr die Eltern gesprochen haben -, er selber sei Jude.
    Die Unterhaltung wurde sogleich vertrauter.
    »Waren Sie in Polen?« fragte Bejski.
    »Ja, da komme ich jetzt her.«
    »Sind da noch Juden am Leben?«
    »Gesehen habe ich keine.«
    Die anderen Gefangenen drängten heran, ließen sich übersetzen, redeten miteinander.
    »Woher kommst du?« wollte der Russe von Bejski wissen.
    »Aus Krakau.«
    »Da war ich vor vierzehn Tagen.«
    »Und was ist in Auschwitz?«
    »Dort soll es noch ein paar Juden geben.«
    Die Gefangenen wurden nachdenklich. Dem Russen zufolge waren in Polen kaum Juden zurückgeblieben, und in Krakau wären sie möglicherweise die einzigen.
    »Braucht ihr was?« fragte der Russe.
    Man verlangte Nahrungsmittel, und er versprach ihnen eine Wagenladung Brot, vielleicht auch Pferdefleisch. Noch vor Dunkelheit. »Aber ihr könntet euch mal im Ort umsehen«, schlug er vor.
    Was für ein Gedanke einfach zum Tor hinaus und nach Brünnlitz einkaufen gehen! Nicht wenige waren unfähig, diesen Gedanken zu fassen, doch etliche jüngere Leute wie Pemper und Bejski folgten dem Russen. Falls es in Polen keine Juden mehr gab, wo sollten sie dann hin? Sie wollten ihn nicht um Anweisungen bitten, doch könne er ihnen vielleicht raten? Der Russe schaute sie an. »Ich weiß es auch nicht. Ich weiß nicht, wo ihr bleiben könnt. Geht nicht nach Osten, soviel kann ich sagen. Aber auch nicht nach Westen.« Er band sein Pferd los. »Man kann uns nirgendwo leiden.«
    Wie der Russe ihnen geraten hatte, machten die Gefangenen von Brünnlitz ihren ersten Ausflug in die Freiheit, die jüngeren voran. Danka Schindel erkletterte den bewaldeten
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