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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition)
Autoren: Ingrid Law
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meine Schuld, dass dein Sohn so ein Schwachkopf ist, Rhonda – du alte Schrulle«, schoss die zweite zurück. Es war eine tiefere, rauchigere Stimme, die jünger klang als die erste. Ich schaute mich im Zimmer um. Ich konnte niemand anderen entdecken. Wie Flipperkugeln hüpften die Stimmen in meinem Schädel herum.  
    »Du hast ihm doch eingeredet, er soll für deinen Cousin Larry Bibeln ausliefern, statt den Job als Kaffeeverkäufer am Busbahnhof anzunehmen. Kaffee kaufen die Leute jedenfalls.«   
    »Und Bibeln nicht?«   
    »Keine rosanen!«   
    Mir schwirrte der Kopf von den Stimmen, die zu niemandem zu gehören schienen. Ich saß immer noch auf dem Sofa, stützte den Kopf in die Hände und fragte mich, was mit mir los war. Ich erinnerte mich, dass ich in die Küche gegangen war und Bobbis Tattoo gesehen hatte. Bobbis Tattoo, wie es sich bewegte . Ich hatte Bobbis Tattoo sprechen gehört. Was hatte es noch gesagt?  
    »Sie ist wirklich sehr einsam, weißt du …«   
    Ich versuchte bei dem Lärm so vieler keifender Stimmen in meinem Kopf und drum herum zu denken. Ich kapierte das alles nicht. Das fühlte sich ganz verkehrt an. Was war mit meinem Schimmer passiert? Opa schlief und ich hörte Stimmen. Zunehmend panisch starrte ich Opa Bomba an, der im Sessel des Predigers schlummerte. Ich nahm meine ganze Willenskraft zusammen und versuchte meinen Opa zum Aufwachen zu bewegen. Aber der Lärm im Zimmer war zu viel für mich, ich konnte mich nicht konzentrieren. Konnte nicht denken. Wenn alle mal die Klappe halten würden, dann könnte ich es vielleicht hinkriegen, dass mein Schimmer funktionierte.  
    Ich hielt mir die Ohren zu und versuchte vergeblich, die Geräusche auszublenden. Ich musste hier weg. Ich musste zum Salina Hope Hospital. Ich musste meinen Poppa finden, damit mein Schimmer einrastete und richtig funktionierte. Poppa brauchte mich.  
    Keiner im Zimmer hatte bemerkt, dass ich aufgewacht war. Pastor Meeks stand mit dem Rücken zu mir. Er warf rosa Bibeln in Kisten und schob sie über den Boden zu dem Boten. Miss Rosemary und Fish liefen um den Tisch des Predigers herum, sie stritten sich immer noch um das Telefon. Und die Frauenstimmen in meinem Kopf spielten ein endloses Pingpong von Schuld und Vorwurf, das wie Blut in meinen Ohren pochte.  
    Will junior spähte durch den Türspalt herein. Als er sah, dass ich wach war, lächelte er erleichtert. Ich wollte nur raus aus dem Zimmer. Weglaufen.  
    Ich wartete auf den richtigen Moment, bis ich sicher war, dass keiner sah, wie ich aufsprang, aus dem Büro des Pastors huschte und all die Streitereien hinter mir ließ. Als ich aus dem Zimmer floh, stellte ich beruhigt fest, dass die Stimmen von Carlene und Rhonda, den beiden unsichtbaren Damen, verklangen. Wer sie auch waren – was sie auch waren –, sie verfolgten mich nicht. Vor der Tür legte Will junior mir wieder eine Hand auf die Schulter, aber diesmal fühlte es sich nicht so seltsam an. Er hatte den obersten Knopf seines Hemdes aufgemacht, und jetzt sah er nicht mehr so erwachsen aus, eher wie ein vierzehnjähriger Junge. Er hielt das geschenkverpackte Schreibset in den Händen, das ich fallen gelassen hatte, als ich ohnmächtig wurde.  
    »Wie geht es dir, Mibs?«, fragte er und sah mich mit seinen dunklen Augen besorgt an.  
    »Ich muss hier weg«, sagte ich verzweifelt. »Du musst mir helfen zu verschwinden.«  

8. Kapitel
     
    »Ich muss nach Salina, Will.«  
    »Geht es dir wirklich gut, Mibs?«, fragte er, die Hand immer noch auf meiner Schulter. »Du warst ja gerade ohnmächtig, weißt du? Vielleicht bist du ein bisschen durcheinander.«  
    Ich schaute Will junior in die Augen. »Will, bitte. Ich bin nicht durcheinander. Hilf mir hier wegzukommen. Ich muss unbedingt nach Salina.«  
    Will junior sah mich betrübt an und drückte meine Schulter. »Bestimmt vermisst du deine Mutter und deinen Vater sehr, gerade an deinem Geburtstag.«  
    Ich schob seine Hand weg und wandte mich zur Tür. »Ich muss nach Salina«, wiederholte ich.  
    »Vielleicht kann Mutter dich fahren …«, setzte Will an und lief hinter mir her.  
    »O nein. Ich muss allein dorthin.« Ich wusste, dass ich redete wie eine Verrückte. Ich war gerade erst dreizehn geworden und bildete mir ein, ich könnte die hundertfünfzig Kilometer nach Salina ganz allein bewältigen. Aber wenn es sein musste, würde ich per Anhalter fahren. Oder zu Fuß gehen. Es musste sein. Es war undenkbar,
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