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Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger
Autoren: Yann Martel
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überall.«
    »Aber der Franzose, dem Sie begegnet sind, könnte doch der Koch gewesen sein.«
    »Denkbar. Aber woher soll ich es wissen? Ich habe ihn ja nicht gesehen. Ich war blind. Und dann hat Richard Parker ihn bei lebendigem Leibe aufgefressen.«
    »Wie praktisch.«
    »Überhaupt nicht. Es war entsetzlich und es stank. Übrigens, wie erklären Sie die Erdmännchenknochen im Boot?«
    »Es fanden sich tatsächlich Skelettteile eines kleinen Tieres -«
    »Nicht nur eines.«
    »— Skelettteile
mehrerer
kleiner Tiere auf dem Rettungsboot. Die Tiere stammten vermutlich vom Schiff.«
    »Wir hatten keine Erdmännchen in unserem Zoo.«
    »Dass es Erdmännchenknochen waren, ist nicht bewiesen.«
    MrChiba: »Vielleicht waren es Bananenknochen! Ha! Ha! Ha! Ha! Ha!«
    »Schnauze, Atsuro!«
    »Bitte um Verzeihung, Okamoto-san. Das ist die Erschöpfung.«
    »Sie bringen unser ganzes Büro in Verruf!«
    »Bitte um Verzeihung, Okamoto-san.«
    MrOkamoto: »Die Knochen könnten auch von einem anderen kleinen Tier kommen.«
    »Es waren Erdmännchen.«
    »Einem Mungo zum Beispiel.«
    »Unsere Mungos wollte niemand haben. Die sind in Indien geblieben.«
    »Sie könnten an Bord gewesen sein, genau wie Ratten. Mungos sind doch in Indien weit verbreitet.«
    »Mungos als Schiffsratten?«
    »Warum nicht?«
    »Und dann schwammen sie im stürmischen Pazifik, gleich zu mehreren, und brachten sich auf dem Rettungsboot in Sicherheit? Das klingt auch nicht gerade glaubwürdig, oder?«
    »Aber nicht so unglaubwürdig wie manches, was wir in den letzten beiden Stunden gehört haben. Vielleicht waren die Mungos ja schon an Bord, genau wie die Ratte, von der Sie erzählt haben.«
    »Schon erstaunlich, die Menge an Tieren, die da auf dem Rettungsboot war.«
    »Erstaunlich.«
    »Ein regelrechter Dschungel.«
    » In der Tat.«
    »Es sind Erdmännchenknochen. Lassen Sie sie von einem Experten untersuchen.«
    »Viele waren ja nicht mehr da. Und keine Köpfe.«
    »Die habe ich als Köder genommen.«
    »Selbst ein Experte könnte vielleicht Mungo- nicht von Erdmännchenknochen unterscheiden.«
    »Sie bräuchten einen forensischen Zoologen dafür.«
    »Gut, MrPatel! Wir geben es zu. Wir können nicht erklären, wie Erdmännchenknochen, wenn es denn Erdmännchenknochen sind, in das Rettungsboot kommen. Aber darum geht es ja auch nicht. Wir sind hier, weil ein japanischer Frachter, Eigentum der Oika Shipping Company, unter Panamaflagge, im Pazifik gesunken ist.«
    »Etwas, das ich nicht vergesse, keine Minute lang. Schließlich ist meine ganze Familie mit ihm untergegangen.«
    »Das tut uns Leid.«
    »Nicht so sehr wie mir.«
    [Langes Schweigen]
    MrChiba: »Was machen wir jetzt?«
    MrOkamoto: »Ich weiß es nicht.«
    [Langes Schweigen]
    Pi Patel: »Möchten Sie einen Keks?«
    MrOkamoto: »O ja, gern. Danke.«
    MrChiba: »Danke.«
    [Langes Schweigen]
    MrOkamoto: »Ein schöner Tag.«
    Pi Patel: »Ja. Sonnig.«
    [Langes Schweigen]
    Pi Patel: »Sind Sie das erste Mal in Mexiko?«
    MrOkamoto: »Ja.«
    »Ich auch.«
    [Langes Schweigen]
    Pi Patel: »Meine Geschichte hat Ihnen also nicht gefallen?«
    MrOkamoto: »Aber nein, sie hat uns sogar sehr gefallen. Nicht wahr, Atsuro? Sie wird uns lange im Gedächtnis bleiben. Lange Zeit.«
    MrChiba: »Mit Sicherheit.«
    [Schweigen]
    MrOkamoto: »Aber für unsere Untersuchung wüssten wir gern, wie es wirklich war.«
    »Wie es wirklich war?«
    »Ja.«
    »Sie hätten gern eine andere Geschichte?«
    » Ähm ... nein. Wir wüssten gern, was
wirklich
geschehen ist.«
    »Aber wenn man von etwas berichtet, wird es dann nicht immer eine Geschichte?«
    »Ähm ... im Englischen vielleicht. Im Japanischen wäre es nur eine Geschichte, wenn etwas
Erfundenes
daran wäre. Aber wir wollen nichts Erfundenes. Wir wollen die ›reinen Fakten‹, wie Sie im Englischen sagen.«
    »Aber wenn man von etwas erzählt - mit Worten, ganz egal ob auf Englisch oder auf Japanisch -, ist denn dann nicht immer Erfindung dabei? Wenn man diese Welt auch nur ansieht, ist denn dann nicht schon Erfindung im Spiel?«
    »Ähm ...«
    »Die Welt ist doch nicht einfach wie sie ist. Es kommt doch darauf an, wie wir sie verstehen, oder nicht? Und wenn wir sie verstehen, fügen wir doch auch etwas hinzu, oder nicht? Und wenn das so ist, ist dann nicht das ganze Leben eine Geschichte?«
    »Ha! Ha! Ha! Sehr geistreich, MrPatel.«
    MrChiba: »Wovon redet er?«
    »Keine Ahnung.«
    Pi Patel: »Sie wollen Worte, in denen sich die Wirklichkeit
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