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Schieber

Schieber

Titel: Schieber
Autoren: C Rademacher
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gleiche der Mann, den sie verfolgen.
    Einmal strauchelt er auf dem nassen Pflaster, fängt sich, hastet
weiter. Der Gang scheint endlos zu sein. Dann eine freie Fläche. Schuttberge.
Ein umgekippter Güterwagen neben Schienen. Gebüsch. Der Kripo-Mann hält inne,
blickt sich um. Regen. Das Rauschen schluckt jedes Geräusch. Wieder ein Blitz.
Zwei Männer im grellen Licht. Er reißt die Pistole hoch, zögert. Mach keine
Dummheit, sagt er sich. MacDonald ist irgendwo zwischen ihm und dem
Unbekannten. Weiter. Der Mann im Umhang flieht über das Ruinenfeld, der
Offizier hinterher. Stave, mit größerem Abstand, wählt Wege, auf denen weniger
Trümmer liegen, und verkürzt so den Rückstand von Sekunde zu Sekunde.
    Der Zaun. In einer schnellen, fließenden Bewegung taucht der
Unbekannte hindurch, als wäre der Maschendraht bloß eine Illusion. MacDonald
verliert ein paar Augenblicke am Hindernis. Dann ist er auch durch. Stave kommt
an, bückt sich und läuft einfach weiter – das Drahtgitter gibt an der Stelle
nach, wie ein schwerer Vorhang.
    Der Mann rennt nun parallel zur Elbe, die irgendwo zu ihrer Linken
strömt. Die zerbombten Ruinen einiger Arbeiterhäuser, den einzigen, die in
diesem Teil des Hafens errichtet worden waren. Ein düsterer steinerner Würfel
direkt voraus. Der Eingang zum Elbtunnel, ein Klotz aus der Kaiserzeit, fast
unzerstört.
    Ich habe dich, sagt sich Stave grimmig und zwingt sich zu noch
schnellerem Lauf. Sein Herz schlägt im Hals, er ringt nach Luft. Aber der
Tunnel ist eine Falle: Der vergitterte, abgeschlossene Zugang wird den
Unbekannten stoppen. Der Mann wird hinrennen, an der Tür rütteln, erkennen,
dass sie verschlossen ist – und dann wird es zu spät sein. Hundert Meter bis
zum Tunneleingang. Fünfzig. Der Mann ist dort.
    Doch er reißt nicht an der Tür, er beugt sich etwas vor.
    »Der Kerl hat einen Schlüssel!«, schreit Stave. Wie mag der daran
gekommen sein? Der ideale Weg, um den britischen Posten im Hafen zu entgehen:
Der Schmuggler lässt sich nachts in den Elbtunnel ein und marschiert unter dem
Fluss unentdeckt zu seinem Ziel, während über ihm Militärpolizisten und
Patrouillenboote kreuzen. »Schießen!«, ruft der Kripo-Mann mit letztem Atem
MacDonald zu. »Schieß doch!«
    Aber MacDonald hört ihn nicht, er beschleunigt nur seine Schritte
und gestikuliert wild. Die Tür ist offen. Der Mann schlüpft hindurch. Wenn er
abschließt, dann ist er entwischt, denkt Stave verzweifelt. Keuchend bleibt er
stehen, reißt die Pistole hoch, umklammert mit der Linken den rechten Unterarm,
um ruhiger zielen zu können. Dann feuert er. Laut klingt der Knall der FN 22.
MacDonald, der Soldat, wirft sich hin. Noch ein Schuss, noch ein Schuss. Der
Mann verschwindet hastig von der Tür. Aber der Zugang bleibt offen.
    Der Oberinspektor erreicht den Lieutenant, der sich aufrappelt.
    »Getroffen?«, keucht er.
    »Lausiger Schütze!«, erwidert MacDonald, unverletzt.
    Der große Block. Das eiserne Gitter. Der Elbtunnel.
    Schale Luft. Im Innern glimmt gelbliche Notbeleuchtung.
Ein riesiger Schacht, die Wände mit braunen Kacheln verkleidet, Taubendreck,
das Gurren und Flattern der aufgescheuchten Vögel, in der Mitte ein Aufzug in
einem Gewirr aus Stahlträgern, dessen Kabine groß genug ist, um Autos
aufzunehmen. Die Kabine verharrt in der düsteren Tiefe. Stave lauscht. Eine
Treppe führt an der Wand des Schachts in einer Art riesigem doppelten »Z« nach
unten, ein schmales Stahlgestell mit hölzernen Stufen. Er spürt das Zittern
schwerer Schritte. Der Mann eilt nach unten.
    Der Oberinspektor stürzt hinterher. Ein falscher Schritt und er
würde sich das Genick brechen. Trotzdem zögert er plötzlich mitten im Lauf.
MacDonald? Der Engländer ist weit zurückgeblieben. Er erkennt bloß einen
Schemen auf der Treppe, eng an die gekachelte Wand gedrückt.
    »Was ist los?«, zischt er, plötzlich in Angst, seinen Freund doch
mit einer Pistolenkugel getroffen zu haben.
    »Ich bin nicht schwindelfrei«, presst der Lieutenant hervor.
    Stave würde lachen, wenn nicht so viel auf dem Spiel stehen würde.
»Augen zu und runter!«, ruft er, wendet sich ab und hastet weiter.
    Beton. Der Boden. Vor ihm eine Röhre, kaum breiter als ein Auto. Ein
Stollen, begraben unter Tausenden Tonnen Erde, darüber die Elbe. Kleine, weiße
Kacheln an den geschwungenen Wänden, alle paar Meter grünlich lasierte Reliefs
mit Fischen, Krabben, Seeschnecken. Das Meeresgetier scheint im Schimmer der
flackernden
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