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Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Melanie Metzenthin
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dumm, dass sie kein Kind mehr war, dem es niemand verargte, barfuß durch die Stadt zu laufen.
    Ob ihr gedächtnisloser Gast das Siegel wohl erkannte? War es womöglich sein eigenes? Drei Kronen … Vielleicht war er ein Edelmann? Das Wappen des dänischen Königs zierten ebenfalls drei Kronen, allerdings wurden sie von drei Löwen getragen.
    »Er schläft«, sagte Marieke, als Brida zurückkam.
    »Hast du mit ihm gesprochen?«
    Die Magd nickte. »Er ist nett, aber er kann sich ja an gar nichts erinnern.«
    »Ich weiß.« Mit einem erleichterten Seufzer zog Brida ihre Schuhe von den Füßen und schüttelte den Sand aus. Marieke runzelte missbilligend die Stirn.
    »Ist Vater schon zurück?«
    »Nein.«
    »Sag mir Bescheid, wenn er kommt.«
    Sie ließ Marieke stehen und ging zu ihrer Kammer. Aus den Augenwinkeln sah sie noch, wie die junge Magd kopfschüttelnd nach dem Besen griff, um den Sand aufzufegen.
    Bridas Stube war nicht groß, enthielt ein Bett, eine Kleidertruhe, einen Schemel und ein Tischchen, das unter der Dachschräge stand. Aber sie liebte diesen kleinen Raum, der sie ein wenig an die engen Schiffskojen erinnerte, in denen sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte. Sie schob sich den Schemel zurecht und zog vorsichtig die aufgeweichten Pergamente aus dem Beutel.
    Die Tinte war vollkommen zerlaufen, bildete nur noch Schlieren und schwarze Flecken. Sie breitete die Dokumente, soweit es möglich war, auf dem Tisch aus. Vielleicht war das eine oder andere Wort noch zu entziffern, wenn sie erst getrocknet waren.
    Von unten hörte sie polternde Schritte. Nur einer ging so. Vater! Im Geist sah Brida Marieke erneut seufzen und zum Besen greifen. Sie wartete eine Weile, bis sie sicher war, dass ihr Vater sich in die Wohnstube zurückgezogen hatte, dann nahm sie das zerbrochene Siegel und stieg die Treppe hinunter.
    Obwohl Kapitän Hinrich ein Mann war, der schon auf die sechzig zusteuerte, hatte er sich die Lebendigkeit der Jugend bewahrt. Manchmal glaubte Brida, dass er noch immer zur See führe, wenn sie nicht wäre. Sie war jetzt einundzwanzig, noch keine alte Jungfer, aber auf jeden Fall zu alt, um ihn weiterhin auf seinen Schiffsreisen zu begleiten, wie sie es während ihrer Kindheit und Jugend getan hatte.
    So, wie sie seinen Schritt schon von Weitem erkannte, so kannte er auch den ihren.
    »Na, Deern, hab gehört, du hast wieder einen Pflegling.«
    Sie liebte sein väterliches Lächeln, wenn sein Gesicht in Hunderte von Fältchen zerfiel, würdevoll und schelmisch zugleich.
    »Ja, Vater. Er war der einzige Überlebende.« Sie setzte sich ihm gegenüber auf den zweiten Lehnstuhl vor dem Kamin. »Aber etwas ist seltsam. Er kann sich an gar nichts erinnern. Nicht mal an seinen Namen.«
    Der alte Kapitän zog die Brauen hoch. »Nicht mal an seinen Namen?«
    Brida nickte. »Hast du so etwas schon mal erlebt?«
    »Erlebt nicht, nur davon gehört, dass es so was geben soll.«
    »Ich war am Strand und habe geschaut, ob ich noch etwas finde, das uns mehr über ihn verraten könnte. Dabei entdeckte ich das hier.«
    Sie reichte ihrem Vater das zerbrochene Siegel. Hinrich nahm die beiden Teile in die Hand und betrachtete sie aufmerksam.
    »Das ist seltsam, Deern. Bis auf die drei Löwen erinnert es an das dänische Königssiegel.«
    »Du hast es also auch noch nie gesehen?«
    Der Vater schüttelte den Kopf. »Vielleicht weiß Claas etwas. Ich habe ihn zum Abendessen eingeladen.«
    »Wie geht es seiner Frau?«
    »Nicht gut. Die Ärzte haben nicht mehr für sie tun können als du, Deern. Die haben sich nur an seinem Geldbeutel gütlich getan.«
    Brida senkte den Blick. Sie wusste um die Liebe, mit der Stadtrat Claas an seiner Frau hing. In zehn Ehejahren hatte Anna ihm nur ein lebendes Kind geschenkt, das kurz nach der Geburt verstorben war. Es folgten sieben Totgeburten, die letzte vor drei Monaten. Brida erinnerte sich lebhaft an die Schilderungen der alten Hebamme Hilde. Anna hatte nicht genügend Kraft, das tote Kind auszustoßen. Hilde hatte es im Leib der Schwangeren zerstückeln müssen. Tagelang hatte Anna danach mit dem Tod gerungen, bis sie ihn von ihrer Schwelle jagen konnte, aber sie blieb schwach und kränkelnd. Zuerst hatte Claas Brida um Hilfe gebeten, doch als ihre Mittel versagten, hatte er nach den besten Ärzten aus Lübeck geschickt und, als die auch nicht weiterwussten, einen berühmten Medikus aus Hamburg kommen lassen. Nichts war ihm für Anna zu teuer, und doch trat keine Linderung ein. Im
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