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Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Melanie Metzenthin
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Gegenteil, sie wurde immer schwächer, aber niemand brachte es übers Herz, Claas zu sagen, dass seiner Frau nicht mehr viel Zeit blieb.
    »Weißt du, Deern, vielleicht erinnert der Mann sich ja selbst, wenn er das Siegel sieht.«
    Der Gedanke an Anna hatte Brida für kurze Zeit von dem Rätsel um ihren unbekannten Pflegling abgelenkt. Umso dankbarer war sie ihrem Vater, dass er das Gespräch wieder in eine erträglichere Richtung lenkte.
    »Vielleicht ist es sogar sein eigenes? Von seiner Kleidung her könnte es passen.«
    »Ja, das hat der Arne schon überall rumgebracht. Meinte, das sei so ’n feiner Herr.«
    »Fräulein Brida!« Marieke stürmte in die Stube. »Unser Meergeschenk ist wach.«
    Hinrich lachte. »Na, ob der sich wohl freut, wenn du ihn so nennst?«
    Die junge Magd blickte dem Hausherrn keck in die Augen, die Hände in die Hüften gestemmt. »Na ja, Herr Käpt’n, ist doch noch gar nicht so lang her, dass wir alles behalten durften, was uns das Meer bescherte, nicht wahr?«
    »Ach, Marieke, verschreck den armen Jungen nicht.«
    »Aber Herr Käpt’n, ich doch nicht.«
    Brida grinste. »Ich sehe nach ihm.« Sie nahm das zerbrochene Siegel und begab sich zu der kleinen Gästekammer.
    Der Unbekannte hatte sich wie ein Kind im Mutterleib zusammengekrümmt und fest in die Decken geschmiegt. Als Brida eintrat, hob er den Kopf. Erleichtert stellte sie fest, dass das Kohlebecken gute Arbeit geleistet hatte. Der Raum war inzwischen angenehm warm.
    »Wie geht es Euch?«, fragte sie und schalt sich gleichzeitig, dass ihr keine bessere Begrüßung einfiel. Wie sollte es ihm schon gehen?
    »Viel besser.« Er schenkte ihr ein Lächeln. Wenn er Marieke ebenso angestrahlt hatte, schien es kein Wunder, dass die Magd ihn beinahe als persönlichen Besitz ansah. »Ich fühle meine Zehen wieder.«
    »Aber Ihr erinnert Euch nach wie vor an nichts?«
    Das Lächeln schwand. »Nein«, sagte er leise.
    »Ich war am Strand und habe dort einen Beutel mit Briefen gefunden. Die Dokumente sind verdorben, aber ein Siegel blieb erhalten. Erkennt Ihr es?«
    Er richtete sich ein wenig auf, die wärmenden Decken fest umklammert, und musterte das zerbrochene Stück Siegelwachs in ihrer Hand.
    Brida versuchte, in seinem Gesicht zu lesen, zu erkennen, was in ihm vorging. Einmal schloss er kurz die Augen, dann starrte er wieder auf das Siegel.
    »Erik«, flüsterte er.
    »Ist das Euer Name?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Er ging mir auf einmal durch den Kopf.«
    Da war er wieder, dieser gehetzte Blick, der sie an ein leidendes Tier gemahnte.
    »Erik«, wiederholte Brida den Namen. »Er würde zu Euch passen. Der Klang des Nordens.«
    Er sagte kein Wort.
    »Darf ich Euch so nennen, solange Ihr Euch nicht sicher seid, wie Ihr wirklich heißt?«
    »Wenn Ihr wollt.«
    Sehr begeistert klang er nicht. Konnte es wirklich sein eigener Name sein, wenn er ihren Vorschlag mit dem gleichen Gesichtsausdruck hinnahm, mit dem ein Kind ein Hemd aus rauem Stoff duldet?
    Eine Weile herrschte Schweigen. Schon wollte Brida fragen, ob sie ihn wieder allein lassen solle, als er fortfuhr. »Darf ich ein Gespräch mit Euch beginnen, Jungfer Brida? Für gewöhnlich tauschen Menschen, die sich noch nie begegnet sind, ihre Geschichten aus. Doch ich habe nichts zum Tausch zu bieten.«
    Er zitterte. War es wirklich nur die Unterkühlung?
    Brida zog einen Schemel heran und setzte sich neben die Bettstatt.
    »Soll ich Euch von mir erzählen? Ganz ohne Tausch?« Sie lächelte ihn an.
    »Ich würde mich freuen.«
    »Nun, wo soll ich anfangen?«, fragte sie mehr sich selbst als ihn. »Vielleicht erkläre ich Euch, warum man Euch ausgerechnet zu mir brachte.«
    Er nickte.
    »Nun, ich habe Euch schon erzählt, dass Ihr Euch im Haus von Kapitän Hinrich Dührsen befindet. Er hat die Seefahrt erst vor knapp vier Jahren aufgegeben, weil er meinte, für eine Jungfer wie mich zieme es sich nicht mehr, immer nur auf Schiffen unter Männern zu leben.« Sie lachte über seinen erstaunten Gesichtsausdruck. »Ihr braucht gar nicht so zu schauen, es ist wahr, ich bin auf Schiffen aufgewachsen. Meine Mutter starb, als ich noch ein kleines Kind war. Ich habe keine deutlichen Erinnerungen mehr an sie. Mein Vater hätte mich zu einer Ziehmutter geben können, aber das brachte er nicht fertig, und so nahm er mich, kaum dass ich laufen konnte, mit an Bord. Ich wuchs unter Seeleuten auf, die mir wie Onkel oder große Brüder waren. Besonders gern ging ich dem Harald zur Hand, dem
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