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Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Titel: Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
Autoren: Nicola Förg
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war Irmi mit Carina in Straume im Supermarkt, bevor sie am Abend fliegen würde. Sie waren in der kleinen Kunstgalerie, bei der Tankstelle und auf der Post gewesen. Dann waren sie weiter nach Bø in einen Haushaltswarenladen gefahren, und während Carina wieder irgendwas suchte, hatte Irmi eine Abschiedstour zu ihrem Lieblingsplatz gemacht, einer eindrucksvollen Skulptur mit dem Titel »Der Mann vom Meer«.
    Auf dem Weg dorthin kam sie an den voll behängten Gestellen mit Stockfisch vorbei, der insgesamt sicher zwei Millionen Euro wert war, wenn es sich um Fisch der besten Qualität handelte. Sie legte einen Abstecher in das kleine Museum ein, das vor allem Regine Norman gewidmet war, einer mutigen Frau, deren bösartiger Mann ihr das Schreiben hatte verbieten wollen. Deshalb hatte sie heimlich in einer Höhle geschrieben, bevor sie schließlich vor ihm geflohen war. 1913 war sie die erste Norwegerin gewesen, die sich scheiden ließ. Im Museum war auch ein Christbaum aufgestellt, wie ihn die Menschen hier oben früher selbst angefertigt hatten. Da es auf den Inseln keine üppigen Wälder mit Nadelbäumen wie in Irmis Heimat gab, hatten die armen Fischer Löcher in einen Birkenstamm gebohrt und Wacholderzweige hineingesteckt.
    Schließlich erreichte sie den »Mann vom Meer«, eines von dreiunddreißig Land-Art-Kunstwerken im Nordland. Die gusseiserne Skulptur blickte über Inseln, die einst bewohnt gewesen waren, deren Menschen aber 1950 umgesiedelt wurden, weil der Staat nicht wegen ein paar Insulanern Wasser und Strom dorthin legen lassen wollte. Der über vier Meter lange Mann stand fest verankert da. Sein starkes Rückgrat war dem Wasser abgewandt. In die Rückseite der Skulptur war eine kleine Frauenfigur aus Gold eingelassen. Irmi blickte in den Himmel, der inzwischen dunkelrot geworden war, und nickte der goldenen Frau zu. Frauen stärkten Männern den Rücken.
    Sie dachte an Jens, den sie über ihre Auszeit informiert hatte. Ja, es war ein formelles Informieren gewesen, eine Art Abwesenheitsnotiz für Geschäftsfreunde. So redete man nicht mit dem Mann, den man liebte. Jens wusste zwar als Einziger, dass Irmi sich Hilfe geholt hatte, aber Genaueres wusste er nicht. Er hatte ihr Glück gewünscht und sie gebeten, sich zu melden, wenn es an der Zeit sei. Er werde auf sie warten, ein ganzes Leben. Sie beschloss, ihn von zu Hause aus anzurufen.
    Später traf sie sich mit Carina in einem Café. Die beiden Freunde würden ihr fehlen. Ian, der Engländer aus Cornwall, der einst in Deutschland beim Militär gewesen war und da schon alles und jeden fotografiert hatte. Als Lastkraftwagenfahrer war er eine Weile im Ruhrgebiet gefangen gewesen, wo er Carina getroffen hatte, die norwegische Fremdsprachensekretärin, auch sie Kind einer vom Wind gepeitschten Insel am Polarkreis.
    Dass schon heute Abend ein Platz in einem Flug von Narvik nach München mit nur einem Umstieg in Oslo frei gewesen war, kam Irmi wie ein Wink des Schicksals vor. Das würde keine lange Flugexpedition werden wie auf dem Hinweg, als sie mehrmals hatte umsteigen müssen, mit Verspätungen und langen Aufenthalten in irgendwelchen Wartehallen.
    Ganz so reibungslos ging es dann aber doch nicht vonstatten. Das Flugzeug bekam zunächst keine Starterlaubnis, und die Passagiere lungerten eine ganze Weile auf dem Vorfeld herum. Als sie endlich abgehoben und die Flughöhe erreicht hatten, leuchtete der Himmel. Die Fluggäste hingen alle auf einer Kabinenseite, staunten, stießen spitze Schreie aus, versuchten durch die kleinen Fenster zu fotografieren. Und doch gab das Nordlicht einzig für Irmi ein letztes furioses Spiel. Bis der schwarze Vorhang der Nacht fiel. Sie würde in jedem Fall wiederkommen an dieses Ende der Welt, allein wegen der Aurora borealis. Sie hatte das Nordlicht gesehen und war süchtig geworden.
    Schon am ersten Tag ihrer Anwesenheit hatte Ian Irmi entführt. Mit der Stirnlampe auf dem Kopf waren sie hinausgegangen, dorthin, wo es knackte und knarzte. Ebbe und Flut arbeiteten im Eis der zugefrorenen Buchten. Ian hatte Schneekristalle aufgehoben, schweigsam und andächtig. Immer wieder hatte er zum Himmel geblickt. Ob es kommen würde? Es verging eine weitere Stunde. War das eine Wolke dort oben? Nein, es war eine gräuliche Schliere, die ganz plötzlich am Himmel erschien. »Das kann der Beginn des Nordlichts sein, sie kann aber auch wieder verschwinden«, hatte Ian gesagt. Irmi hatte den Kopf in den Nacken gelegt und gespürt, wie sie
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