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Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Titel: Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
Autoren: Nicola Förg
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Gänsehaut bekam. Sie wollte es zwingen, wollte das Nordlicht herbeihypnotisieren. Doch die Natur kann man nicht zwingen, wenn der Mensch das nur begreifen würde. Sie hatte tief durchgeatmet und die Schultern entspannt. Langsam waren sie zum Guesthouse zurückgegangen. Auf einmal hatte es begonnen. Die Aurora borealis färbte den Himmel, waberte, formierte sich neu, verlief wieder. Changierte in allen sphärischen Abstufungen von Grün. Verwirrende Schönheit! Der Mensch war so klein dagegen, ein Wicht – und Irmi war so dankbar gewesen. Vom ersten Tag an.
    Sie war eingetaucht in das norwegische Leben, von Anfang an. Carina hatte eine Weihnachtsfeier nach der anderen zu organisieren gehabt, einige davon hatten erst nach Weihnachten stattgefunden, weil vorher immer so viel los gewesen war. Die Gäste hatten Irmi zugeprostet, sie wusste nur selten, mit dem wievielten Aquavit. In der Küche des Guesthouse hatte der tschechische Koch Lutefisk zubereitet, jene gewöhnungsbedürftige Weihnachtsspezialität, für die der Trockenfisch abwechselnd in Natronlauge und Wasser eingelegt wird. Auch das Essen war mit Aquavit besser zu überstehen, dem alle üppig zusprachen. Man gab Kinderreime zum Besten, zum Beispiel den vom Hühnchen, das einfach tot vom Zaun fiel. Ganz schön makaber für einen Kinderreim, fand Irmi, auch wenn das Hühnchen am Ende zum Engel wurde. Was sollten die Kinder daraus lernen? Die heitere Runde nötigte Irmi, das Gesicht so ins Deutsche zu übersetzen, dass es sich reimte. Irmi gab alles und dichtete:
    Hühnchen saß auf dem Zaun ganz munter.
    Hühnchen fiel hinunter.
    Kein Arzt konnt helfen in der Not,
    denn Hühnchen war schon tot.
    Hühnchen kam in den Himmel droben,
    Hühnchen konnt es dort nur loben.
    Hühnchen wurd ein Engel schnell
    in des Himmels Schloss so hell.
    Die Zuhörer johlten, und Ian heftete Irmi den Vesterålen-Dichterpreis an – in Form einer zerbrochenen Muschel. Diese lag nun im Bauch des Flugzeugs, sicher eingehüllt in eine Stinkesocke in Irmis Koffer. In jenen feuchtfröhlichen Nächten hatte man auch ein Weihnachtslied gesungen, das die Melodie von »Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad« hatte. Irmi summte es leise im Flugzeug vor sich hin und sah dabei noch einmal in die Nacht hinaus. Bestimmt würde sie wiederkommen, aber jetzt hatte sie erst einmal in Bayern zu tun. Daheim! Daheim, endlich!
    Sie kamen noch später als geplant in München an, weil es zunächst keine Landeerlaubnis gegeben hatte. Zu viel Schnee, hatte es geheißen. Wurde es nicht eigentlich jedes Jahr Winter? Launig hatte der Kapitän damit gedroht, dass er wegen des Nachtflugverbots in München dann wohl in Linz landen müsse. Nachts um elf im Schneesturm in Linz, na, das waren Aussichten! Irgendwie war es ihm dann aber doch noch gelungen, kurz vor knapp in München niederzugehen.
    Es war nach elf, als Irmi ihr Gepäck hatte, den Ankunftsbereich verließ und gegen eine Wand von Menschen lief. Es war doch immer höchst merkwürdig, wenn man in all die erwartungsfrohen Gesichter sah, in die suchenden Blicke, wenn man die Enttäuschung spürte, dass die eigenen Lieben noch nicht dabei waren.
    Kathi trug eine kurze grasgrüne Daunenjacke und passende grüne Stiefel und belebte damit das Einerlei an dunklen Wintermänteln. Sie stand etwas abseits und hob die Hand zu einer Art Winken, als sie Irmi entdeckte. Betrachter dachten vermutlich, dass hier eine sehr schlanke Tochter ihre nicht so schlanke Mutter abholte. Die Schlemmerei in Norwegen war nicht gerade ein Diättrip gewesen.
    »Hei«, sagte Irmi und blieb stehen. Es wäre ihr unpassend vorgekommen, Kathi zu umarmen.
    »Hei«, sagte Kathi. »Ich dachte schon, ihr kommt gar nicht mehr.«
    Während sie über den verzögerten Start und das Nordlicht plauderten, erreichten sie das Auto und wenig später den Autobahnzubringer. Er schneite wirklich wie verrückt, und Kathi fluchte über die »Erzdeppen, die besser daheimbleiben sollten«, und über die »bleden Münchner, die ihren Ring nicht räumen und eh nicht Auto fahren können«. Auf der Garmischer Autobahn lag eine geschlossene Schneedecke, und sie hatten schon die Starnberger Ausfahrt erreicht, als Irmi sich erkundigte: »Weiß man schon was?«
    Kathi schüttelte den Kopf. »Wenig. Die eine Frau könnte Ionella Adami sein, eine junge Rumänin.«
    »Rumänin?«
    »Ja, sie hat bei der Familie, wo die Tenne abgebrannt ist, als Pflegekraft gearbeitet. Du weißt schon, diese Frauen aus Rumänien oder
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