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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Frieda in ihrem typisch ironischen Ton. »Wer weiß, wer einem da über den Weg läuft.«
    Sie war mitgekommen, weil sie der dominanten Frieda ohnehin nichts entgegenzusetzen hatte. Als Lockmittel hatte Frieda ihr einen grünblaues, zauberhaft geschnittenes Etuikleid aus Rohseide geliehen, das diese von ihrer Pariser Großmutter geerbt hatte. Das Material hatte eine raue Oberfläche, die allerdings in abendlicher Beleuchtung einen schimmernden, changierenden Glanz bekam.
    »Es steht dir«, bemerkte Frieda. »An mir wirkt es überhaupt nicht. Dafür habe ich zu wenig Busen.«
    »Blödsinn«, entgegnete Anne und war nicht sicher, ob das als Kompliment oder als Spitze gemeint war. »Ich finde es jedenfalls toll. Vielen Dank, dass du’s mir leihst.«
    »Keine Ursache. Bin froh, dass es getragen wird.« Frieda blieb vor dem Spiegel über dem Waschbecken in der Ecke ihres Zimmers stehen, wo sie Make-up auflegte – und hielt, das Mascara-Bürstchen in der Hand, inne. »Meine Großmutter ist verrückt geworden, musst du wissen. Sie ist in einem Irrenhaus gelandet. Sie hielt sich nämlich für Marie Antoinette.«
    »Herrje«, entfuhr es Anne. Sie wusste nicht recht, welche Reaktion man von ihr erwartete. Frieda streute gerne hin und wieder das ein oder andere schockierende Detail ins Gespräch ein, um einer ganz normalen Unterhaltung etwas Würze zu verleihen, und die nüchterne Sachlichkeit, mit der sie das tat, überraschte Anne immer wieder. Solche Bemerkungen verschlugen ihr die Sprache, vermittelten ihr aber auch ein Gefühl von Frivolität, das sie genoss.
    Eine halbe Stunde später hatten sich Frieda und Anne Arm in Arm aufgemacht, noch nicht vertraut genug, um echte Freundinnen zu sein, aber doch nicht so fremd, als dass ihnen die Geste unangenehm gewesen wäre. Wie Anne feststellte, wimmelte es an der Universität von solchen Zufallsallianzen. Sie hatte vor, höchstens eine gute Stunde zu bleiben, um anschließend an den Schreibtisch zurückzukehren und die Hausarbeit zu beenden, die ihr auf den Nägeln brannte.
    Kaum waren sie durch die Tür getreten, verstrickte Frieda einen Professor in ein Gespräch, der auf den Zehenspitzen auf und ab wippte, sobald er sich mit Weltuntergangsmiene in Rage redete. Anne kreiselte unbeteiligt herum und kam sich reichlich überflüssig vor. Aus unerfindlichen Gründen hat sie auf dem Weg der Versuchung nicht widerstehen können, eine leuchtend purpurne Blüte aus einem Blumenbeet zu pflücken und sich ins Haar zu stecken. Frieda hatte dies sofort mit Missbilligung quittiert, und Anne wurde allmählich klar, wie recht sie gehabt hatte: Die neckische Blüte im Haar war hier in diesem düster getäfelten Raum mit all den ernsten Jungstudenten in Sportsakkos und randlosen Brillen völlig fehl am Platz. An der einen Wand war ein langer Tisch mit verloren wirkenden Tabletts voller labbriger Pasteten mit Champignonfüllung aufgebaut, daneben Schüsseln mit Salzgebäck. Jemand hatte versucht, eine Igelfigur aus Käse- und Ananasstücken zu kreieren, allerdings waren sie viel zu schwer für die Cocktailstäbchen, mit denen sie festgesteckt waren, so dass die Konstruktion rasch in sich zusammensackte. Aus einem schmalen Kassettenrekorder in der Ecke drangen vereinzelt die anachronistisch anmutenden Klänge einer Harfe.
    Anne hasste Klubs und Gruppen und Gesellschaften aus Prinzip – hatte die meiste Zeit zu Beginn des Semesters damit verbracht, übereifrigen Anwerbern für Hockeymannschaften oder Filmklubs aus dem Weg zu gehen. Und ausgerechnet sie hatte sich breitschlagen lassen hierherzukommen! Sie fühlte sich unwohl und wurde wütend auf sich selbst, bereute es, schwach gewesen zu sein und nicht Nein gesagt zu haben.
    Sie lächelte teilnahmslos in die Runde, steigerte sich immer mehr in ihre Wut, als plötzlich Charles Redfern vor ihr stand, ein bauchiges, bis zum Rand mit einer blutroten Flüssigkeit gefülltes Glas in der Hand.
    »Ich würde dich gern zu einem Drink einladen«, sagte er schlicht.
    »Du kennst mich doch gar nicht.«
    »Doch, tue ich. Ich weiß, dass du Anne Eliott heißt. Ich weiß, dass du im ersten Semester Geschichte am Newnham College studierst. Ich weiß, dass du ungefähr eins siebzig groß bist und dass du …«, er hielt inne, beugte sich vor und sah sie aus zusammengekniffenen Augen durchdringend an. »… dunkelbraune, grün gesprenkelte Augen hast.«
    »Die sind nicht grün gesprenkelt.«
    »Doch, sind sie. Du solltest gelegentlich in den Spiegel
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