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Scherbenhaufen

Scherbenhaufen

Titel: Scherbenhaufen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Ohren und Nase herauszugucken beginnen.
    Und die Wangen? Sie wechseln allmählich vom konvexen zum konkaven Modus und wirken knittrig wie zerknülltes Brotpapier. Zwischen markanten Backenknochen und sorgenfaltiger Stirn sind zwei müde Augen eingepackt, die an hart gekochte Taubeneier erinnern.
    Alt werden ist eben nichts für Weicheier. ›Getting old is not for sissies‹, warnte die Schauspielerin Bette Davis. Nicht allein bei ihr ist mit den Jahren höchstens das Gebiss ansehnlicher geworden. Ein dentales Wunder, dem die Zahnärzte die Krone aufsetzen.
    Trotz allem lässt sich unter dem Strich leidlich gut leben. Unter der Gürtellinie eigentlich auch. Bisher hat sich meine Freundin Eleonore Günther jedenfalls nicht beschwert.
     
     
     
     

9
    Wie stelle ich es an, Niklaus Weihermanns Freundin kennenzulernen?
    Ich könnte den Töpfer einfach um ihre Adresse oder Telefonnummer bitten. Dann läge es in seinem Ermessen, den Kontakt zu ermöglichen oder zu verhindern. Niklaus Weihermann hätte es in der Hand, Eva gegebenenfalls vorzuwarnen, sich mit ihr abzusprechen oder Einfluss auf ihre grundsätzliche Auskunftsbereitschaft zu nehmen.
    Ich will Evas unverfälschte Schilderung der Ereignisse im Museum evaluieren. Wenn ich Glück habe, werde ich sie genau dort antreffen. Ob das Mädchen überhaupt schon wieder Dienst tut?
    Da es eine ganze Weile her ist, seit ich das letzte Mal im mittelalterlichen Gemäuer herumgegeistert bin, muss ich mir die Räumlichkeiten des Schlossmuseums erst vergegenwärtigen. Schnaubend steige ich die Kirchentreppe hoch, biege an ihrem oberen Ende nach links ab und durchschreite schweißnass das Tor zum Schlosshof. Mit Grauen werfe ich einen Blick auf die Pflastersteine zwischen einer alten Kanone und dem mittelalterlichen Ziehbrunnen. An dieser Stelle zerbarst vor wenigen Jahren der Leib einer verzweifelten Stadthostess, Stefan Lüthis erster Stiefmutter.
    Die schiefe Ebene des Hofes wird rechter Hand vom alten Gefängnis flankiert. Links schmiegt sich ein schmaler, länglicher Bau mit steilem Pultdach an den wehrhaften Turm, den so genannten Donjon. Er ist mit dem Bergfried deutscher Burgen vergleichbar. Im Gegensatz dazu war er aber zum dauernden Wohnen eingerichtet. Heute werden Eintritts- und Ansichtskarten verkauft.
    »In fünf Minuten startet der geführte Rundgang durch die Ausstellung«, werde ich durch die Dame hinter der Kasse informiert. »Besammlung ist im Rittersaal.«
    »Wird die Führung zufälligerweise von einer gewissen Eva geleitet?«, erkundige ich mich hoffnungsvoll.
    »Von meiner Eva? Nein, tut mir leid. Heute übernimmt die Direktionsassistentin den Termin.«
    Ich werfe einen Blick auf das Namensschild der Frau: Martha Rechberger! Ich frage nach: »Ihre Eva? Habe ich das eben richtig verstanden? Ist Eva Ihre Tochter?«
    Martha Rechberger bestätigt strahlend.
    Immerhin kenne ich jetzt Evas Mutter. Schade nur, es besteht heute offenbar keine Gelegenheit, mich einer kunsthistorischen Führung der Gymnasiastin anzuschließen. Danach hätte ich die junge Frau in ein unverfängliches Gespräch verwickelt, um sie schließlich unverhofft auf ihre Begegnung mit dem aufdringlichen Besucher anzusprechen.
    »Wollen Sie am Rundgang teilnehmen?«, unterbricht die Kassenfrau meine Gedanken. »Er führt an der Burgunderbeute vorbei, erlaubt die Besichtigung des originalen Fulehung-Kostüms und endet in einem der vier Türme.«
    »Nein, danke Frau Rechberger. Ich interessiere mich vor allem für die Majolika«, wehre ich ab, beschließe jedoch, trotz Evas Abwesenheit, den Ort kurz in Augenschein zu nehmen.
    »Die Geschirrsammlung finden Sie im Keller«, fügt die hilfsbereite Dame an und nestelt an ihrem grau-schwarz gestreiften Kaschmirpulli.
    »Ich komme klar«, versichere ich.
    Darauf schlägt ihre Freundlichkeit in Renitenz um: »Falls Sie es sich doch noch anders überlegen, bezahlen Sie drei Franken dazu.« Sie legt eine kurze Sprechpause ein, mustert mich über ihre Lesebrille hinweg und meint unerwartet gnädig: »Ach so. Mit AHV-Ausweis ist der Anlass selbstverständlich gratis.«
    Ich hebe verdutzt die schweren Augendeckel. Da hat die Kassenfrau mein Gammelfleisch um glatte 13 Jahre vordatiert. Nach Jürg Lüthis gestriger Anspielung und meiner kritischen Selbstspiegelung treten Analysen und Prognosen der gegenwärtigen Erscheinung inflationär zu Tage! Andererseits freue ich mich jetzt schon auf den preisgünstigen Seniorenteller im Stammlokal.
    Soeben reicht mir
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