Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre
Autoren: Lois McMaster Bujold
Vom Netzwerk:
Bäuchen der Aasfresser, aber verurteilt zu langsamer Verwesung. Sie lenkte ihre nachtwandelnden Gedanken stattdessen auf Vorkosigan, der in ihrer Nähe an der Grenze des blaugrünen Lichts unsichtbar in seinem Tarnanzug lag.
    Er war ein Rätsel in einem Rätsel. Offensichtlich war er einer der barrayaranischen Kriegeraristokraten der alten Schule und lag im Streit mit den aufsteigenden neuen Männern der Bürokratie. Die Militaristen beider Seiten erhielten eine unnatürliche, unsichere Allianz aufrecht, die sowohl die Regierungspolitik wie die Streitkräfte kontrollierte, aber im Keim waren sie von Natur aus Feinde. Der Kaiser stabilisierte geschickt das unsichere Gleichgewicht der Macht, das zwischen ihnen herrschte, aber es bestand nicht viel Zweifel, dass nach dem Tod des klugen alten Mannes Barrayar eine Periode des politischen Kannibalismus bevorstand, wenn nicht sogar ein offener Bürgerkrieg, es sei denn, sein Nachfolger bewiese mehr Stärke, als man zur Zeit erwartete. Cordelia wünschte, sie wüsste mehr über das Geflecht der Blutsverwandtschaften und der Macht auf Barrayar. Sie kannte den Familiennamen des Kaisers, Vorbarra, der mit dem Namen des Planeten verknüpft war, aber darüber hinaus waren ihre Kenntnisse sehr vage.
    Sie fingerte gedankenverloren an dem kleinen Betäuber herum und quälte sich mit der Frage: Wer war jetzt der Gefangene, wer der Bewacher? Aber für sie war es nahezu unmöglich, in dieser Wildnis allein für Dubauer zu sorgen. Sie musste Proviant für ihn haben, und da Vorkosigan so vorsichtig gewesen war, nicht genau zu sagen, wo sein Nachschubversteck lag, brauchte sie den Barrayaraner, damit er sie dorthin brachte. Außerdem hatte sie ihm ihr Ehrenwort gegeben. Es gab einen eigentümlichen Einblick in Vorkosigans Charakter, dass er ihr bloßes Wort so automatisch als bindend annahm; offensichtlich dachte er in den gleichen Kategorien auch für sich selbst.
    Endlich begann der Osten grau zu werden, dann pfirsichfarben, grün und golden in einer pastellfarbenen Wiederholung des theatralischen Sonnenuntergangs des Abends vorher. Vorkosigan bewegte sich, setzte sich auf und half ihr, Dubauer zu dem Wasserlauf zum Waschen zu bringen. Dann nahmen sie ein weiteres Frühstück aus Hafergrütze und Blaukäsedressing ein. Diesmal versuchte Vorkosigan zur Abwechslung, sein Frühstück aus beiden Bestandteilen zusammenzumischen. Cordelia probierte es mit abwechselnden Bissen, um zu sehen, ob das helfen würde.
    Keiner von beiden äußerte sich laut über sein Menü.
    Vorkosigan führte sie in Richtung Nordwesten über die sandige, ziegelrote Ebene. In der trockenen Jahreszeit würde sie beinahe zu einer Wüste werden. Jetzt war sie hell geschmückt mit frischer grüner und gelber Vegetation und Dutzenden von Arten niedrig wachsender Wildblumen.
    Dubauer schien sie nicht wahrzunehmen, wie Cordelia traurig beobachtete.
    Nach etwa drei Stunden in einer lebhaften Gangart kamen sie zum ersten Hindernis des Tages, einem tiefen, felsigen Tal, durch das ein Fluss in der Farbe von Milchkaffee rauschte. Sie gingen am Rand der Uferböschung entlang und suchten eine Furt.
    »Der Fels dort unten hat sich bewegt«, bemerkte Cordelia plötzlich.
    Vorkosigan holte seinen Feldstecher aus seinem Gürtel und blickte genauer hin. »Sie haben recht.«
    Ein halbes Dutzend milchkaffeebrauner Klumpen, die aussahen wie Felsen auf einer Sandbank, entpuppten sich als niedrig gebaute Sechsfüßler mit kräftigen Gliedmaßen, die sich in der Morgensonne wärmten. »Sie scheinen eine Art von Amphibien zu sein. Ich wüsste gerne, ob sie Fleischfresser sind«, sagte Vorkosigan.
    »Ich wünschte mir, Sie hätten meine Erkundungen nicht so früh unterbrochen«, beklagte sich Cordelia. »Dann hätte ich all diese Fragen beantworten können. Da schweben noch ein paar von diesen Seifenblasendingern – meine Güte, ich hätte nicht gedacht, dass sie so groß werden und noch fliegen können.«
    Eine Schar von etwa einem Dutzend großer Radiallebewesen, durchsichtig wie Weingläser und gut dreißig Zentimeter im Durchmesser, kam wie ein Schwarm losgerissener Ballons über den Fluss geschwebt. Ein paar von ihnen ließen sich zu den Sechsfüßlern treiben, landeten sanft auf deren Rücken und legten sich flach auf die Nacken der Tiere wie unheimliche Mützen. Cordelia borgte sich das Fernglas aus, um sie besser sehen zu können. »Verhalten die sich vielleicht ähnlich wie diese Vögel auf der Erde, die den Rindern die Schmarotzer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher