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Scheisskerle - Warum es immer die Falschen sind

Titel: Scheisskerle - Warum es immer die Falschen sind
Autoren: Roman Maria Koidl
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wobei das Wort Narzissmus ganz zu Unrecht, wie ich finde, einen schlechten Ruf hat, denn Narzissmus hilft, zu überleben, die eigenen Interessen zu wahren und sich auch gegenüber anderen abzugrenzen. Von einer narzisstischen Störung kann man dann sprechen, wenn man nicht dazu fähig ist, durch Reflexion oder eine differenzierte Betrachtung des Selbst eine distanzierte Rolle zu sich einzunehmen, also unfähig zu dem ist, was Sigmund Freud 1914 »Introspektion« nannte, die Fähigkeit zur Selbstanalyse.
     
    Beginnen wir mit den Verlassenen, den Vergessenen, den Verletzten. Fast alle Menschen sind mehr oder weniger narzisstisch bedürftig und damit auf der fortwährenden Suche nach einem verfügbaren (Liebes-)Objekt. Dieses Bedürfnis verzerrt sich, wenn das Selbst oder Teile daraus empfindungslos sind, man könnte auch sagen: abgetötet wurden. Diese lebenslange Schädigung ist passiv, sie kommt von außen, sie findet in der Kindheit statt und wird nie selbst vollzogen. Die Suche nach diesen Schädigungen des Selbst ist überaus schwierig, weil sie einem nicht offensichtlich sind. Wir neigen dazu, diese dunklen Stellen durch einfache Verleugnung und Umkehrung in ihr Gegenteil zu verwandeln. Zum Vorschein kommt, was Habermas schon 1970 das »maskierte Selbstverständnis« nannte. Es zwingt uns dazu, ein Leben lang Wunden zu erinnern, durchzuarbeiten, auf fatale Weise zu wiederholen, was uns einst verletzt hat. Diese Wiederholungist ein Zwang, der sich durch wechselnde Inszenierungen so gut tarnt, dass er uns in seiner Struktur als Wiederholungszwang oft gar nicht kenntlich wird. Wenn zum Beispiel Männer im Leben einer Frau immer wieder nach wenigen Wochen verschwinden, dann kann es sich dabei durchaus um eine unglückliche, zufällige Ansammlung von beziehungsunfähigen Männern handeln. Es kann aber auch sein, dass die betroffene Frau die Männer durch unbewusste Handlungen immer wieder wegschickt. Ihr Wiederholungszwang besteht darin, den eigenen Schmerz des – beispielsweise vom Vater verlassenen Kindes – immer und immer zu wiederholen. Nur in der Wiederholung findet sich vermeintlich Linderung. Die betroffenen Frauen inszenieren sich dabei sehr geschickt vor anderen, aber insbesondere vor sich selbst als Opfer. Dabei sind es linkische, keineswegs bewusste Handlungen, die die Männer vor den Kopf stoßen. Dazu zählen Erzählungen über Exfreunde, ein ausuferndes Sexualleben, eklige Geschichten, abschreckende Beichten oder fürchterliche Witze, von denen man nicht weiß, warum man sie nun gerade erzählen musste. Viele Frauen finden sich danach dann einfach doof, sie schämen sich, können aber nicht erklären, woher dieser »Ausbruch« rührt.
     
    Verunsichert durch Misserfolge, selbstempfundene Ablehnung und Rückschläge in Liebesdingen, entsteht Angst. Warum aber macht einem die Person, die man begehrt oder liebt, so viel Angst? Es ist nicht die Person, sondern die Liebe selbst, die ängstigt. Fast keine Frau, mit der ichgesprochen habe, war dazu in der Lage, Gefühle uneingeschränkt wahrzunehmen und zu empfinden. Eine Gesprächspartnerin teilte mir mit, dass sie Gefühle wie Trauer, Mitleid oder Zuneigung gar nicht entwickeln kann und sich in entsprechenden Situationen, etwa bei einer Beerdigung, dann an den Verhaltensmustern anderer Trauergäste oder an Stereotypen des Beileids aus Filmen orientieren würde, um gesellschaftlich konform zu bleiben.
    »Wir können nur empathisch sein, wo wir als Kinder frei waren«, stellt die Psychologin Alice Miller in ihrem Schlüsselwerk Das Drama des begabten Kindes 1979 fest. Verletzung, Vereinsamung, Verlassenheit ist keine Freiheit. Sie führt zur Abspaltung und – unter dem Druck gesellschaftlicher Anpassung der Heranwachsenden – zur späteren Maskierung des Selbst. Diese Abspaltung ist eine Verkümmerung, ein kleines Kästchen, in dem der Schmerz verwahrt wird. Jeder Mensch hat solche Kästchen, aber die Betroffenen haben viele davon. Sie sind nicht selten ein Archiv des Selbstverlusts. Verlassenheit, Nichtbeantwortung und Verletzung können dabei ebenso ursächlich sein wie die Leere der eigenen Grandiosität – die schon als Kind beschworen wurde – oder Demütigungen und frühe sadistische Erfahrungen, die unter dem Mantel des Wohlwollens angewendet wurden, wie schon der Schriftsteller Hermann Hesse sie in seiner Erzählung Kinderseele aus seiner Kindheit erinnert.
     
    Wir alle versuchen fortwährend, dieses Archiv des Selbstverlustes zu räumen, indem
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