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Scheherazade macht Geschichten

Titel: Scheherazade macht Geschichten
Autoren: Craig Shaw Gardner
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dennoch forderte der Große König den jüngeren weiter auf, fortzufahren, sonst würde er vielleicht selbst in Versuchung geraten, Köpfe rollen zu lassen. Außerdem erinnerte er ihn daran, daß er sich in Shahryars Königreich befand, mit Shahryars Armee und Shahryars Henkern und Shahryars ausgedehntem Netz von Kerkern und Folterkammern ganz in der Nähe.
    »Andererseits, wenn ich's mir recht überlege«, erwiderte Shahzaman mit der Weisheit, wie sie nur Königen eigen ist, »ist es vielleicht meine brüderliche Pflicht zu reden.« Und so erzählte er, was sich tatsächlich nach diesem »Bis...« ereignet hatte, vor allem in jener Nacht, in der er seines Bruders Frau mit den vierzig Sklaven beobachtet hatte.
    Doch als der jüngere der beiden geendet hatte, erklärte der ältere, daß er so etwas nicht glauben könne und es schon mit eigenen Augen sehen müsse.
    Daraufhin schlug Shahzaman, das Beil des Henkers immer noch vor Augen, vor, sein Bruder solle öffentlich verkünden, daß die beiden Könige noch einmal, und zwar diesmal gemeinsam, auf die Jagd gehen würden. Tatsächlich würden sie sich aber in einem dunklen Winkel des Palastes verstecken, von dem aus sie einen guten Blick über die Gärten hatten.
    Shahryar stimmte diesem Vorschlag zu und führte ihn sogleich aus, indem er verlauten ließ, daß er früh am nächsten Morgen erneut zur Jagd aufbrechen würde. Und tatsächlich sandte er auch eine vollständige Mannschaft an Jägern und Treibern und Dienern in die hinter dem Palast gelegenen Wälder. Er und sein Bruder blieben jedoch in ihrem geheimen Versteck, bis es Zeit war, in aller Heimlichkeit auf den Balkon zu schleichen, unter dem sich die Gärten ausbreiteten.
    Es vergingen nur ein paar Sekunden, bevor die Königin in dem Garten erschien. Um sie herum tollten die vierzig Sklaven, und alle waren sie nackt oder so gut wie unbekleidet, genau wie in jener Nacht zuvor. Und nach einer kurzen Unterhaltung zwischen der Königin und ihrem bevorzugten Sklaven, einer Unterhaltung, die sich um Bananen, Melonen, Kirschen und andere Früchte drehte, spielten sich ganz ähnliche Szenen vor den beiden Zuschauern ab, wie sie von Shahzaman beschrieben worden waren.
    Mehr als einmal ertönte ein feuriges »Jippie!« aus dem Garten, und manchmal, so muß ich leider erzählen, sogar ein brünstiges »Oh, ja!«. Shahryar beobachtete alles, was sich in seinem Garten abspielte, ganz genau – zuerst voller Unglaube, dann voller Zorn und am Ende mit immer größer werdender Schwermut. Und sein Schmerz verdoppelte sich mit jedem »Jippie!«, das zu ihm heraufklang.
    Schließlich hatte er genug gesehen, und daher sagte er zu seinem Bruder: »Warum muß uns beide, obwohl wir doch Könige sind, ein solches Unglück treffen? Ich kann es nicht ertragen, auch nur einen Augenblick länger in diesem Palast zu verweilen. Komm, wir wollen aufbrechen und so lange umherwandern, bis wir jemanden getroffen haben, der uns erklären kann, warum das Schicksal uns dermaßen hart bestraft – oder bis wir jemanden getroffen haben, dem es noch schlechter geht als uns beiden!«
    Entfacht von seines Bruders Elend, kehrte auch Shahzamans Elend zurück. Und so kam es, daß beide Könige den Palast auf geheimen Wegen verließen und sich auf die Wanderschaft machten, wobei sie sich, was die Richtung anbelangte, ganz allein vom Schicksal leiten ließen.
    Die beiden Könige marschierten die ganze Nacht und den ganzen Tag, bis sie zu einer Wiese kamen, die an das große Salzmeer grenzte. Und auf dieser Wiese entdeckten sie einen Baum von beträchtlichem Alter und ebenso beträchtlicher Höhe sowie einen eher bescheidenen Tümpel voll frischem, klarem Wasser. Hier machten die beiden Könige Rast, um etwas von dem Wasser zu trinken und sich im Schatten des Baumes auszuruhen. Doch bald schon stieg eine riesige schwarze Rauchsäule aus dem Meer empor, als würde der Ozean selbst in Flammen stehen. Die beiden Brüder schrien auf vor Angst und suchten in den obersten Ästen des Baumes Schutz, während jener rabenschwarze Rauch weiter auf sie zuwirbelte. Doch als die unheimliche Säule den Strand berührte, verzog sich der Rauch und enthüllte einen gigantischen Dschinn , der so groß war wie drei Männer, die einander auf den Schultern standen, und dieser Dschinn trug auf dem Kopf eine große Truhe aus Elfenbein.
    Es war die Truhe, die zu sprechen begann: »Du kannst mich hier abstellen.«
    »Ja, o über alles Geliebte«, beeilte sich der Dschinn zu sagen
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