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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman
Autoren: Andrea Busfield
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ich meine Mutter davon sprechen hörte, waren da immer nur Männer,
     die Schatten warfen, deshalb denke ich, wenn sie je schreiben gelernt hätte, wäre sie viel leicht Dichterin geworden. Statt
     dessen war es Allahs Wille, dass sie die Böden der Reichen fegte, für ein paar Afs, die sie in ihren Kleidern versteckte und
     über Nacht bewachte.
    »Diebe sind überall«, zischte sie dann, ein zorniges Flüstern, das ihre Augenbrauen über der Nase zusammenzog. Und natürlich
     hatte sie recht. Ich war ja einer von ihnen.
    Damals sah es niemand von uns als Diebstahl. Wie Jahid, der sich mit so was auskannte, erklärte: »Es ist die gerechte Verteilung
     des Reichtums.«
    »Teilen«, ergänzte Jamilla. »Wir haben nichts, sie haben alles, aber sie sind zu habgierig, um armen Leuten wie uns zu helfen,
     so wie es im Koran steht, also müssen wir ihnen helfen, gut zu sein. Man kann sagen, sie bezahlen uns für unsere Hilfe. Sie
     wissen es nur nicht.«
    Natürlich zahlten die Ausländer nicht alle ohne ihr Wissen für unsere »Hilfe«. Manche gaben uns auch einfach Geld, die einen
     gern, andere aus schlechtem Gewissen, wieder andere, um uns loszuwerden, was aber nicht funktionierte, weil ein Grüppchen
     schnell vom nächsten abgelöst wird, wenn Dollar die Straße entlangspazieren. Aber es machte Spaß. Geburt im Schatten hin oder
     her, jetzt verbrachten Jahid, Jamilla, Spandi und ich unsere Tage in der Sonne und damit, den Reichtum der Leute umzuverteilen,
     die gekommen waren, um uns zu helfen.
    »Das nennt sich Wiederaufbau«, erklärte uns Jahid eines Tages, als wir auf dem Bordstein saßen und auf einen Unimog warteten,
     auf den wir aufspringen konnten. »Die Ausländer sind hier, weil sie unser Land zerbombt haben, um die Taliban zu töten, und
     es jetzt wiederaufbauen müssen. Das hat das Weltparlament befohlen.«
    »Aber warum wollten sie die Taliban töten?«
    »Weil die mit den Arabern befreundet waren und ihr König Osama bin Laden ein Haus in Kabul hatte, wo er seinen vierzig Ehefrauen
     Hunderte von Kindern machte. Die Amerikaner hassten bin Laden, und sie wussten, er fickte seine Frauen so gründlich, dass
     er eines Tages eine ganze Armee von Männern haben würde, Tausende, wenn nicht sogar Millionen, also jagten sie einen Palast
     in ihrem Land in die Luft und schoben es ihm in die Schuhe. Dann kamen sie nach Afghanistan, um ihn, seine Frauen und Kinder
     und alle seine Freunde zu töten. Das nennt man Politik, Fawad.«
    Jahid war wohl der gebildetste Junge, den ich je kannte, weil er immer die weggeworfenen Zeitungen las, die wir auf der Straße
     fanden. Und er war auch der beste Dieb, den ich je kannte. An manchen Tagen ergatterte er bündelweise Dollar, in dem er den
     Ausländern in die Taschen griff, während wir Kleineren sie bis aufs Blut nervten. Aber wenn ich im Schatten geboren war, dann
     war Jahid unter dem Blick des Teufels selbst zur Welt gekommen, denn er war unglaublich hässlich. Seine Zähne waren bräunliche
     Stummel, und ein Auge tanzte nach seiner eigenen Melodie, rollte in seiner Höhle herum wie eine Murmel in einer Schachtel.
     Außerdem war eines seiner Beine so lahm, dass er es zwingen musste, mit dem anderen Schritt zu halten.
    »Er ist ein dreckiger kleiner Dieb«, sagte meine Mutter immer. Aber sie hatte ja kaum je ein gutes Wort für irgendjemanden
     aus der Familie ihrer Schwester. »Halte dich von ihm fern … er setzt dir nur Dummheiten in den Kopf.«
    Wie sich meine Mutter vorstellte, dass ich mich von Jahid fernhalten sollte, ist mir schleierhaft. Aber das ist oft das Problem
     an Erwachsenen, sie verlangen Unmögliches und machen einem dann das Leben zur Hölle, wenn man ihnen nicht gehorchen kann.
    Tatsache ist, dass ich nicht nur mit Jahid unter einem Dach lebte, sondern auch mit seiner fetten Kuh von Mutter, seinem Esel
     von Vater und noch zweien ihrer schmuddeligen Kinder, Wahid und Obaidullah.
    »Alles Jungen«, verkündete mein Onkel immer stolz.
    »Und alle hässlich«, murmelte meine Mutter dann und zwinkerte mir dabei zu, weil es grundsätzlich so war: wir gegen sie. Und
     wenn wir auch nichts hatten, sahen unsere Augen doch wenigstens in dieselbe Richtung.
    Zu siebt teilten wir uns vier kleine Zimmer und ein Loch draußen im Hof. Nicht leicht also, mich von Cousin Jahid fernzuhalten,
     wie es meine Mutter verlangte. Nicht mal Präsident Karzai hätte das hingekriegt. Aber meine Mutter hatte es nichtso mit Erklärungen, also sagte sie mir nie, wie ich
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