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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman
Autoren: Andrea Busfield
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Fußknochen.
    Ein Team von UN-Ermittlern war zu seinem Grab geführt worden. Es war eigentlich nicht mehr als ein Loch, eine scheußliche
     kleine Grube, die in der Erde unter der Burg St. Hilarion ausgehoben worden und flach genug war, um von einem neugierigen
     Hund freigelegt zu werden. Neben Loukis lagen dort noch die Überreste zweier weiterer Männer. Alle drei wiesen Einschusslöcher
     in ihren zertrümmerten Schädeln auf.
    Die Ursache war also klar, doch die Umstände ihres Todes waren ein Rätsel und würden es auch für immer bleiben, wenn nicht
     jemand hervortrat und es auflöste. Praxi versuchte verzweifelt zu glauben, dass Loukis schnell gestorben war, doch sie quälte
     sich selbst mit so abscheulichen Vorstellungen, dass es ihr den Schlaf raubte. Statt einen Schlussstrich zu ziehen, warf die
     Entdeckung nur noch mehr Fragen auf. Es würde niemals Antworten geben, niemals Gerechtigkeit oder auch nur den Versuch, die
     Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Den Überlebenden blieben lediglich die Knochen, die Überreste eines geraubten Lebens.
    Nachdem das Komitee für Vermisste Personen Dhespina kontaktiert hatte, fuhr Michalakis sie zum provisorischen UN-Labor im
     alten Flughafen von Lefkosia. Die Experten hatten zehn Monate gebraucht, um die Identität der Überreste festzustellen. Als
     Michalakis Praxi später die Nachricht überbrachte, musste sie sich für zehn Minuten entschuldigen.
    Wir vergessen nicht.
    Nachdem sie die Mondsteine auf Dhespinas Grab platziert und ein kurzes Gebet gesagt hatte, nahm Praxi den Bus nach Lemesos,
     wo sie den Brief an Elpida einwarf. Sie kaufte sich eine kleine Flasche Wasser und stieg in einen zweiten Bus Richtung Hauptstadt.
     Es war kaum zehn Uhr morgens und doch schon glühend heiß.
    Unter dem schwermütigen, steinernen Blick von DionysiosSolomos stieg Praxi am Platz in der Stadtmitte aus. Sie spürte den Blick des Dichters auf dem ganzen Weg bis ins Niemandsland
     der Ledrastraße auf sich gerichtet. In ihrer Jugend hatte man diese Straße als Mord-Meile bezeichnet, nachdem bei mehreren
     Schießereien britische Soldaten ums Leben gekommen waren. Nach der Unabhängigkeit wurde die Straße durch die Grüne Linie zweigeteilt,
     und etwa die Hälfte wurde von einem der besten Hotels der Insel in Anspruch genommen. Heute war sie nur noch eine Erinnerung
     an eine unruhige Vergangenheit mit verlassenen und von Einschusslöchern übersäten Gebäuden.
    Praxi trat vor und übergab dem Polizisten ihren Pass. Als sie ihn in ihre Handtasche zurücksteckte, rasselten ihre Tabletten
     in einem Plastikfläschchen. Sie ging weiter auf die Wechselstube zu und kaufte sich danach ein Eis. Sie winkte das erste Taxi
     herbei, das sie entdeckte, nahm auf der Rückbank Platz und wies den Fahrer an, sie nach Keryneia zu bringen. Als sie losfuhren,
     kurbelte er das Fenster hinunter, um eine Zigarette zu rauchen, wodurch die Klimaanlage ihrer Wirkung beraubt wurde. Praxi
     hatte das Gefühl, in der Hitze zu verwelken, und zu ihrer großen Verärgerung hörte der Mann einfach nicht auf zu reden. Er
     erzählte, dass er aus Bulgarien stammte. Das Leben war hart, er bekam nur wenig Lohn, und er vermisste seine Familie. Praxi
     nickte, aber ihr war nicht nach einem Gespräch zumute, besonders nicht nach einem, das ihr ein Trinkgeld entlocken sollte.
     Außerdem hatte sie kein Interesse daran, sich mit einem Ausländer, der kein Griechisch verstand, auf Englisch zu unterhalten.
     Bei dieser Reise sollte es nur um sie gehen: um ihre Zeit, ihr Volk, ihre Erinnerungen und ihre Sprache. Sie war es leid,
     dass irgendjemand von außen sich in ihr Leben drängte, und schließlich sagte sie dem Taxifahrer einfach, er solle die Klappe
     halten.
    Als sie ihr Ziel in herrlicher, wenn auch peinlicher Stille erreicht hatten, bat Praxi den Fahrer, anzuhalten. Sie übergab
     ihm die türkischen Lira, die sie unwillig gegen ihre Zypern-Pfund eingetauscht hatte.
    »Soll ich Sie später wieder abholen?«, fragte er.
    »Das wird nicht nötig sein«, erwiderte Praxi. Sie sah seine Verwirrung und wiederholte, dass sie allein zurückfinden würde.
     Als der Wagen abfuhr, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den gewundenen Pfad, der vor ihr lag, und betete zu Gott, er möge
     ihr Kraft geben. Der felsige Weg kam ihr unüberwindbar steil vor.
    Sie ergriff einen abgebrochenen Ast, auf den sie sich beim Aufstieg auf den Berg stützte. Als sie kaum noch atmen konnte und
     ihre Lungen wie Feuer brannten, staunte
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