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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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noch eine Weile so stehen bleiben und zusehen.
    Ich bin schon nah genug, um die Konzentration in Sandras Gesicht zu erkennen. Vera steht mit dem Rücken zu mir und sieht Sandra beim Galoppieren zu. Sie steht sehr aufrecht, aufmerksam. In ihrer Haltung liegt Angst verborgen. Weil Sandra heute zum ersten Mal wieder reitet.
    Vera steht neben einem Baum. Ab und zu duckt sie sich kurz weg, ich glaube, um den fallenden Tropfen auszuweichen. Sie selbst ist so fixiert auf Sandra, dass sie es gar nicht wahrnimmt, und auch diese eine Bewegung, die sie macht, ist sicher unbewusst: Als sich irgendwann wieder ein Tropfen vom Blatt löst, streckt sie die Hand aus, um ihn aufzufangen, bevor er den Boden berührt.
    Vorhin, als ich das Hochhaus verlassen habe, hat es geregnet, die Sonne schien, und ich habe doch noch mal zurückgeblickt, obwohl ich das eigentlich nicht wollte.
    Ich habe gesehen, wie der Rollstuhlfahrer aus dem Aufzug kam. Wie sich die unscheinbare Frau herunterbeugte und ihm mit der Hand über die Wange strich. Wie der Rollstuhlfahrer auf sie eingeredet hat. Er war aufgewühlt, aber er wirkte glücklich. Ich vermute, er hat sich gefreut, mich nach so vielen Jahren wiederzusehen.
    Nach einer Weile ist die Frau hinter den Rollstuhl getreten und hat den Mann auf den Ausgang zugeschoben, auf die Glastür zu, hinter der ich stand.
    Ich habe mich abgewendet, bin zu meinem Wagen gelaufen und in die Firma gefahren. Dort habe ich den ganzen Nachmittag an einem Computerspiel gearbeitet, in dessen Mittelpunkt ein Löwe steht. Es muss bis morgen fertig sein.
    Chronologisch betrachtet jetzt. In diesem Moment:
    Vera fängt den Wassertropfen auf.
    Und Sandra hat mich erkannt. Sie winkt.
    Vielleicht dreht auch Vera sich noch zu mir um.
    Ich mache einen Schritt nach vorn und spüre, dass mir etwas Seltsames passieren könnte: nicht anzukommen. Ausgerechnet heute, ausgerechnet jetzt, wo ich das Gefühl habe, endlich da zu sein.
    Ich habe einen Weinkrampf, den ersten seit einer Ewigkeit.
    Meine Beine knicken ein, und in meinen Arm schießt ein unrealistischer Schmerz. Ich schließe die Augen, stütze mich an der Fahrertür ab, und der Löwe
    ist guter Dinge, als er aus dem Wald heraustritt, und vor ihm liegt eine weite Schneelandschaft, und neben ihm steht ein Schlitten, und in dem Schlitten liegt ein Affe aus Stoff, und die beiden werden gleich viel Spaß haben, wenn sie gemeinsam ins Tal hinunterrodeln, aber das Schönste, was ich getan habe, ist
    etwas, das längst vergessen ist:
    Mit Mara im Regen zu tanzen.
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