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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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Eine Reise in einem blauen Bus. Ein Lagerfeuer. Sie hält meine Hand. Meine Freunde schlafen. Sie verpassen etwas, ich weiß nicht, was. Was, ist nicht wichtig. Im Sand steht eine Flasche. In der Flasche schwimmt das letzte Viertel Wein.
    »Wenn du willst, nehme ich dich mit«, sagt sie.
    »Was sagst du?« Mir fallen die Augen zu.
    »Ich nehme dich mit. In das Holzhaus, wenn du willst.«
    »Ach so.«
    »Bist du müde?«
    Ich reiße meine Augen auf. »Nein.«
    »Sieht aber so aus.«
    »Nein. Schwachsinn.« Mir fallen die Augen zu, gleich werde ich einschlafen.
    »He«, sagt sie.
    »Was denn?« Ich öffne die Augen. Sie hat eine kleine Schere in der Hand, eine Nagelschere. Sie ritzt ein wenig an der Haut.
    »Was soll das?«
    »Wach bleiben«, sagt sie. »Schlafen ist nicht.«
    »Ja, ja. Jetzt lass den Scheiß.«
    »Versprich, dass du wach bleibst.«
    »Mann, du nervst!« Ich springe auf die Füße, um zu beweisen, wie wach ich bin. Ich knicke ein, fange den Sturz ab und torkele ein paar Runden um das verlöschende Lagerfeuer. Sie lacht. »Schon klar, ich glaub’s dir ja! Setz dich wieder her.«
    Sie wirft die Schere in ihren Rucksack, und ich lasse mich neben sie fallen, mein Kopf an ihrer Schulter.
    »Sturm kommt auf«, sagt sie.
    Ihre Haut ist kalt und weich. Ich stoße gegen die Flasche.
    »Aufpassen, unser Wetteinsatz!«, sagt sie.
    Die Flasche kippt, und das letzte Viertel Wein versickert in Nichts.
    Aus Fehlern lernt man. Man macht nie denselben Fehler zweimal. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Wenn er fällt, dann schreit er. Eine Flasche mit Wasser. Eine Tablette. Es sprudelt, während sie sich auflöst.
    Mein Kompagnon steckt seinen Kopf durch den Türspalt und fragt, wie ich vorankomme.
    »Bestens«, sage ich.
    »Na dann«, sagt er.
    Wenn er wüsste, dass ich seinen Namen vergessen habe, wäre er beunruhigt, aber das weiß er ja nicht. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.
    »Mir geht’s gut«, flüstere ich und höre mich eine Weile glucksend kichern.
    Hinter der Glaswand meines Büros verschwimmen dann wieder die Tankstelle und der Regenbogen, bis sie aussehen wie eins.

22
    Auf meiner Stirn Schweiß, der von Zeit zu Zeit in feuchten Perlen auf Vivianas Rücken tropft. Im Nebenzimmer stöhnt Laura.
    »Heut dauert’s aber lang, Schatzi«, sagt Viviana und lacht. Marlene sitzt auf der Bettkante. Ich bohre mich in Vivianas Körper und in Marlenes Augen.
    Marlene lächelt an mir vorbei in die Wand.
    »Du noch mal«, sage ich.
    Marlene zuckt ein wenig, dann lässt sie sich auf das Bett sinken. Sie spreizt die Beine.
    »Drehen«, sage ich.
    Marlene dreht sich. Auf ihrer Schulter ist eine Tätowierung, der blaue Kopf eines Adlers. Ich dringe ein. Viviana lehnt sich gegen das Bettgestell und fährt sich durchs Haar. Der Ventilator surrt. Das Telefon klingelt.
    »Komm, Schatzi«, murmelt Viviana.
    Im Nebenzimmer Laura. Ich stoße zu. Marlene schweigt.
    Auf der Insel löst sich der Wassertropfen sehr langsam vom Blatt und schlägt schnell und heftig auf dem nassen Rasen auf.
    Das Telefon klingelt. Ein schriller, fordernder Ton. Eine Art Rhythmus. Marlene schweigt, lila Licht. Oben an der Decke ein Schattenspiel. Marlenes Lippen zittern, Viviana starrt auf meinen Unterleib und flüstert: »Komm, mein Schatz.« Im Nebenzimmer lacht Laura, und ich beginne zu spüren, dass es bald zu Ende sein wird. »Jetzt du noch mal«, sage ich zu Viviana. Marlene lässt sich auf die Seite sinken, Viviana führt mich ein. Das Telefon macht Pause. Der Ventilator surrt. Viviana gibt das Tempo vor. Marlene streicht sich ein Haar aus dem Gesicht, Viviana sagt: »Komm schon, du!« Ich presse die Zähne aufeinander, reiße die Augen auf und greife nach Marlenes Oberschenkel. Der Ventilator surrt. Die kalte Luft streift meine Beine. Es beginnt zu enden. Marlene schüttelt meine Hand ab. Ich spüre einen Speichelfaden an meinem Kinn. Mein Blick trifft Vivianas Augen. Er prallt ab und kehrt zu mir zurück. Versickert wie nichts in meinen Augenhöhlen. Es endet. Viviana drückt mich an ihren Körper. Marlene steht von der Bettkante auf, um ein Taschentuch zu holen. Der Schmerz löst sich und wird abgelöst von einem anderen.
    »Gut so?«, fragt Viviana.
    Marlene streift das Kondom ab.
    Im Nebenzimmer stöhnt Laura.
    Das Telefon klingelt.
    Ich sterbe.
    Sandra wird geboren.
    An einem Sommertag.
    Heißhunger. Chronologie. Zurück auf Anfang.
    Auch an diesem Anfang klingelt das Telefon.
    Es ist zwölf Jahre her. Mein
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