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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition)
Autoren: Dr. Michael Römling
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nicht danach aus«, brummte Oberst Igor Sirinow
und sprang aus dem Jeep. Er blickte sich um: ein deutscher
Bauernhof mit Wohnhaus, Stallungen und Scheune. Ungewöhnlich
war höchstens, dass es kein Dorf gab. Das Gehöft
lag mitten in der Landschaft aus Kornfeldern, in die hier und
da kleine Wäldchen wie Inseln gestreut waren. Die vier Panzer,
die in einer losen Reihe auf dem Hof zum Stehen gekommen
waren, hatten die Motoren abgestellt. Die aufgemalten roten
Sterne auf den Fahrzeugen glänzten matt in der Abendsonne.
Für einen kurzen Augenblick war es still. In einer kleinen Birkenschonung
hinter der Scheune keckerte ein Eichelhäher.
Alles wirkte unendlich friedlich, ein perfekter Frühlingsabend.
    Sirinows Adjutant, Leutnant Wassilij Tarassow, war ausgestiegen
und trat neben den Oberst. Er sah aus wie ein Zwölfjähriger,
ein richtiges Milchgesicht. »Wie sauber das alles ist«,
sagte er. »Warum überfällt man seine Nachbarn, wenn es
einem so gut geht?«
    »Vielleicht, weil es einem zu gut geht.«
    »Das ist absurd.«
    »Dieses ganze Land hier ist absurd.«
    Aus den Luken der Panzer kletterten jetzt weitere Soldaten
mit gepolsterten Hauben. Im Tor des großen Stallgebäudes
erschien ein rotgesichtiger Feldwebel. »Nicht mal ein Huhn
haben sie hiergelassen, Genosse Oberst!«, rief er.
    »Wen wundert's«, sagte Sirinow mehr zu sich selbst. Er
stapfte auf das Bauernhaus zu und Tarassow folgte ihm.
    In der lang gestreckten Diele war es dunkel und kühl. Sirinow
schaute sich etwas unschlüssig um, dann öffnete er wahllos
eine Tür. Ein Wohnzimmer mit grünem Teppich, Sofagarnitur
und einem leer geräumten Vitrinenschrank empfing sie.
»Da hast du noch so eine Absurdität«, sagte Sirinow über die
Schulter zu Tarassow. »Bei uns brennen sie auf dem Rückzug
alles ab und ihre eigenen Häuser hinterlassen sie uns besenrein.«
    Er ließ sich in einen der Sessel fallen und fühlte sich plötzlich
todmüde. »Schau mal nach, ob du hier Kaffee auftreiben
kannst«, sagte er.
    Tarassow nickte und verschwand.
    Draußen fuhren zwei Lastwagen vor und parkten neben den
Panzern. Überall auf dem Hof wimmelte es jetzt von Leuten.
Sirinow sah sich im Raum um. Eine offene Tür führte in ein
ebenso aufgeräumtes Esszimmer. Daneben stand ein Bord mit
einem Grammophon, darunter ein paar Schallplatten. Sirinows
Neugier war stärker als die Müdigkeit. Ächzend stand er
wieder auf und blätterte durch die Platten. Die Bewohner des
Hauses waren offenbar Freunde des erlesenen Genusses. Ungewöhnlich
für ein Bauernhaus, dachte Sirinow, dann fischte
er Beethovens drittes Klavierkonzert aus der Schatulle, legte
es auf, schaltete das Grammophon ein und setzte sich wieder.
    Es knackte ein paar Mal. Der Oberst schloss die Augen.
Als die ersten Töne des Klaviers durch den Raum tänzelten,
begann die Anspannung des Tages von Sirinow abzufallen.
Die Holzbläser folgten schüchtern, nahmen das Thema kurz
auf und gaben wieder an das Klavier ab, das übermütig mit
der Melodie spielte und dann ein Portal aufriss, durch das das
ganze Orchester in prahlender Feierlichkeit hereinplatzte. Die
Streicher wurden mit einem Wink zum Thema gebracht. Das
Klavier trabte kurz mit, ließ die Streicher dann stehen und
fegte eine Weile virtuos allein über die Bühne.
    Sirinow war so versunken in die Musik, dass er gar nicht
hörte, wie Tarassow den Raum wieder betrat. Als sein Adjutant
ihn am Arm berührte, schreckte er hoch.
    »Was gibt's?«, fragte er unwirsch.
    »Wir haben gerade eine Meldung reinbekommen, die Sie
interessieren wird, Genosse Oberst«, sagte Tarassow.
    Sirinow zog eine Augenbraue hoch. Der Leutnant neigte
sich zu ihm herab, als fürchtete er unerwünschte Lauscher.
Im Hintergrund trieb das Klavier die Streicher vor sich her.
    »Sommerbier hat heute Nacht in Weimar aufladen lassen«,
sagte Tarassow. »Unser Mann vor Ort hat alles beobachtet. Es
besteht kein Zweifel. Achtundzwanzig Kisten.«
    Sirinow war wie elektrisiert. »Verdammt!«, zischte er. »Was
hat er denn vor? Will er alles in die Alpenfestung bringen?« Er
trommelte mit den Fingern auf der Sessellehne, dann blickte
er Tarassow direkt in die blauen Kinderaugen. »Oder ein Kuhhandel
mit den Amerikanern?«
    Der Leutnant lächelte dünn. »Keins von beidem. Sommerbier
und ein Begleiter, den unser Mann nicht kannte, sind
noch in der Nacht in Richtung Berlin aufgebrochen. Sie
handeln ganz offensichtlich auf eigene Faust. Aber bis das in
Weimar oder sonst wo jemand gemerkt hat, dürften
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