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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition)
Autoren: Dr. Michael Römling
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Flakgranaten
arbeiteten sich dichter heran. Hier und da zuckte es zwischen
den Flugzeugen auf, aber getroffen wurde keins von ihnen.
Hinter dem ersten Bomberschwarm tauchte ein zweiter auf.
    Leo starrte gebannt auf die Flugzeuge. Er kannte solche Angriffe
nur aus dem Keller als eine Abfolge von Jaulen, Dröhnen,
Hämmern, Rauschen und Beben. Dort unten schien
dieses Inferno aus der Erde selbst zu kommen, als Geräuschkulisse
zum Aufflackern bleicher Gesichter und ineinandergekrallter
Hände. Und während ihn und alle anderen in den
Katakomben immer das Gefühl des völligen Ausgeliefertseins
beherrscht hatte, stellte er nun verwundert fest, dass er Auge
in Auge mit dem Hornissenschwarm der Bomber viel ruhiger
war als jemals zuvor. Das Verstecken hatte ein Ende. Fast
kam es ihm vor, als flöge er auf die Maschinen zu und nicht
umgekehrt, als könnte er zum ersten Mal seit Jahren selbst
bestimmen, wem er gegenübertreten durfte. Kein Wegducken
mehr. Kein Misstrauen, das nach Papieren verlangte.
    Als die Flak vom Zoobunker aus zu wummern anfing, begann
Leo zu schreien. Das Dröhnen war noch lauter geworden,
alles bebte. Der zweite Schwarm schwenkte jetzt ab. Eine
Maschine nach der anderen kippte aus dem Zug, sackte nach
rechts weg und ging nach wenigen Augenblicken wieder auf
Kurs. Sofort fand die Formation wieder zusammen. Erneut
blitzten Sonnenreflexe auf.
    »Die ziehen an uns vorbei«, rief Wilhelm ihm ins Ohr und
schüttelte Leos Schultern. »Die wollen zum Regierungsviertel!«
    »Geburtstagsfeuerwerk für den Führer!«, schrie Leo zurück
und lachte wie irre.
    Wie auf ein Zeichen klinkten die Bomber der ersten
Welle vor ihnen die Ladung aus. Schwarze Punkte erschienen
wie Kaulquappenschwärme hinter den Flugzeugen vor
dem Abendhimmel, dann schwebten die Maschinen über sie
hinweg und verschwanden aus dem Blickfeld. Das Dröhnen
der Motoren war jetzt überall. Die Bomben fielen und fielen,
lösten sich aus Knäueln, bildeten lose Ketten, Zugvögel im
Landeanflug.
    Leo krallte sich an dem Balken fest, auf dem er saß. Ein
Splitter bohrte sich unter einen Fingernagel, er spürte es wie
durch eine dicke Watteschicht. Etwas zischte mehrstimmig
durch die Luft. Um sie herum begann es, ohrenbetäubend
und scharf zu krachen. Plötzlich häckselte sich eine Kette von
aufeinanderfolgenden Detonationen durch die ausgebrannten
Nachbarhäuser, Schuttfontänen wurden in die Höhe gerissen
und große und kleine Bruchstücke von Mauern spritzten in
alle Richtungen. Die Explosionen fraßen sich unaufhaltsam
auf sie zu, und dann schien die Zeit sich zu verlangsamen,
ohne dass Leo mit seinen Gedanken folgen konnte. Auf der
gegenüberliegenden Straßenseite sägte eine zweite Bombenkette
durch die Häuserzeile, weiter hinten sackte eine Fassade
weg, fast zögerlich ging sie in die Knie. Dann rauschte es direkt
vor ihnen, als würde eine Ladung Kies auf sie hinuntergekippt.
Die folgende Detonation war so laut, dass Leo meinte,
der Sprengsatz sei mitten in seinem Kopf gezündet worden.
Der Rest lief ab wie ein Stummfilm, nur viel langsamer.
    Von einem Augenblick auf den anderen war es totenstill,
obwohl links und rechts immer noch die tannenzapfenartigen
Schatten vor dem flimmernden Himmel ohne Eile zur Erde
trudelten. Wieder rauschte etwas heran. Wilhelm zog von
hinten seinen Kopf nach unten, und das Letzte, was Leo sah,
war ein Balken aus dem zerstörten Dach des Nachbarhauses,
der vor seiner Nase hochgewirbelt wurde und eine Drehung
in der Luft vollführte, viel zu elegant für die brutale Kraft, die
ihn herumschleuderte, wie die Fackel eines Jongleurs, den Leo
irgendwann im Tiergarten gesehen hatte.
    Der Balken sauste auf ihn zu, übermütig und kapriziös,
eine Aufforderung, ihn zu fangen, eine Einladung zu einem
Spiel, das man mit Jungen wie Leo eigentlich nicht spielte.
Ein winziger Augenblick, in dem alle Demütigungen vergessen
waren. Der Jongleur lächelte. Fang oder lass es. Der Stern
auf deiner Jacke interessiert mich nicht.
    Holz splitterte, Dachziegel flogen. Wilhelms Hände rissen
Leo zu Boden. Und als die Fackel des Jongleurs ihn mitten im
Gesicht traf, wusste Leo, dass er nicht gemeint war.

Einer der vier Soldaten, die das kleine Gehöft gesichert hatten,
erschien in der Tür des Bauernhauses. »Keiner da!«, rief
er. Dann ließ er sich auf eine Bank vor dem Haus fallen, legte
seine Maschinenpistole quer über seine Knie, fummelte eine
schlampig gedrehte Zigarette aus der Brusttasche und steckte
sie an.
    »Sah auch
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