Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspäher

Schattenspäher

Titel: Schattenspäher
Autoren: Matthew Sturges
Vom Netzwerk:
manche waren zu schiefen Türmen entlang der Wand aufgestapelt, andere lagen verstreut auf der Lagerstatt. Doch nirgends ein Zeichen von Jenien.
    Denk in Ruhe nach. Entspann dich und ebne die Ränder deines Bewusstseins. Paet nahm ein beliebiges Buch zur Hand und schlug es auf. Es war ein von Prae Benesile persönlich verfasstes philosophisches Werk, in dem es dem Titel nach um die »Thaumaturgische Geschichte der chthonischen Religion« ging. Er legte es zurück und hob ein anderes auf. Ein Thule-Gedichtband. Gebete an die gebundenen Götter, Bittgesänge, Weissagungen über Erlösung und Untergang. Paet stellte fest, dass auch die anderen Bücher im Zimmer in der Hauptsache heilige Texte, religiöser oder philosophischer Natur waren - darunter viele zu den Chthonikern, aber auch arkadische Schriftrollen sowie einige wenige Kodizes zum Annwni-Kaiserkult. Einige von ihnen waren in Sprachen verfasst, die Paet nicht kannte. Nichts in diesem Zimmer deutete darauf hin, dass der hier lebende Prae Benesile etwas anderes war als ein einsiedlerischer Gelehrter.
    Paet schnüffelte. Blut. Frisches Blut. In diesem Zimmer war erst kürzlich Blut vergossen worden. Er kniete nieder und untersuchte die staubigen Bodendielen. Zu viele Schatten. Paet sah zum Fenster hinüber, zuckte die Achseln und erschuf ein stärkeres reinweißes Hexenlicht, das den gesamten Raum erfüllte. Das Blut am Boden war klebrig und braun, die Schlieren wie bei einem Kampf verschmiert. Paet vernahm ein stockendes Husten; es kam von unter der Pritsche; die Blutspur führte direkt dorthin. Er umfasste den Griff seines Messers und kanalisierte Bewegung. Kraft seiner Gabe zog er die Lagerstatt ein gutes Stück nach vorn.
    Jenien lag zusammengekauert am Boden, die Hände auf den Bauch gepresst; ihr Atem ging stoßweise. Sie sah zu ihm auf, und ihre Augen weiteten sich in ihrem blassen Gesicht.
    »Vorsicht«, flüsterte sie. »Es sind Bel Zheret hier.«
    Bei der Erwähnung des Namens machte Paets Herz einen Satz. Er wirbelte herum, schwang das Messer, doch da war nichts.
    Er wandte sich wieder zu Jenien um und ging vor ihr auf die Knie. »Falls sie noch hier sind, hab ich mich irgendwie an ihnen vorbeischleichen können, oder sie sind schon lange weg.«
    »Sie sagten, sie kämen noch mal zurück ... wegen mir«, keuchte Jenien. Sie hatte Probleme zu atmen. Behutsam nahm Paet ihre Hände von ihrem Bauch und hob den zerfetzten Stoff ihrer Bluse an. Jenien war tödlich verwundet; er konnte nichts mehr für sie tun. Das waren Verletzungen, von denen sich nicht einmal ein Schatten erholen konnte.
    Paet fand ein Kissen auf der Pritsche und schob es unter Jeniens Kopf. Ihr Haar war nass von Schweiß. Sie griff nach seinem Handgelenk, umfasste es mit schwachem Griff.
    »Mab kommt«, sagte sie. »Dachte, wir hätten noch ein paar Tage Zeit.«
    »Ja, die Lage in der Botschaft ist, gelinde gesagt, ein wenig unübersichtlich geworden.«
    Jenien kicherte leise. »Und Traet rennt rum wie ein Hahn ohne Kopf?«
    »Genau.«
    »Ist das Messer scharf, Paet?«, fragte sie nach einer kurzen Pause.
    »Ich hole dich hier raus«, erwiderte er. »Ruh dich nur noch ein Weilchen aus.«
    »Weißt du noch ... in jener Nacht in Sylvan?«, fragte sie. Ihre Worte kamen nun schleppend und undeutlich; ihr Körper zitterte. »Dieses kleine Theater mit dem schrecklich schlechten Stück?«
    »Ja, ich erinnere mich«, sagte Paet lächelnd.
    »Schätze, wenn wir normal wären, hätten wir uns an diesem Abend ineinander verliebt«, meinte sie seufzend.
    Paet spürte, wie sich seine Emotionen verflüchtigten, während sie sprach. Die Welt um ihn herum wurde flach. Jenien war ein Objekt, ein blutendes Etwas ohne Nutzen. Ein Problem, das es zu lösen galt. War diese Gefühlsarmut ihm schon immer eigen gewesen, oder hatte sie sich erst mit der Zeit eingestellt? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. War diese Leere in ihm entstanden, als er zu einem Schatten geworden war, oder hatte ihn ebendiese Leere erst für den Job qualifiziert? Es spielte keine Rolle.
    »Das lag am Glühwein«, sagte er, während er ihren Oberkörper aufrichtete. »Der war stark. Wegen des Zimts und der ganzen Nelken hat man's aber nicht geschmeckt.«
    Sie stöhnte vor Schmerz auf, als er sich hinter sie bewegte. »Du hast einfach toll ausgesehen. Hast einen dieser roten Umhänge getragen, die damals so in Mode waren.«
    »Hatte mich nur optisch angepasst«, meinte er, und dann, nach einem kurzen Moment: »Was war so wichtig an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher