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Schattenseelen Roman

Schattenseelen Roman

Titel: Schattenseelen Roman
Autoren: Olga Krouk
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würde: »Es ist vorbei. Das dauert zu lange.«
    Kehrfeld würdigte ihn keines Blickes. »Er ist jung und sieht recht sportlich aus. Er wird es noch schaffen.«
    Evelyn schaute auf den Monitor des EKGs. Keine Veränderungen. »Wird er nicht«, flüsterte sie. »Moment mal … Irgendwas stimmt da nicht! Seine Körpertemperatur
ist unter die Raumtemperatur gesunken.«
    Sie legte ihre Hand auf seine Brust. Oh Gott … Es konnte unmöglich ein lebender Mensch sein, den sie da anfasste. Er war kalt wie eine Leiche. Eine Leiche, die schon lange in der Pathologie gelegen hatte.
    Sie schreckte zurück. Und obwohl sie ihn nicht mehr berührte, schien die Kälte an ihren Fingern zu kleben; sie drang durch den Latexhandschuh, kroch unter die Haut und wanderte an Evelyns Arm hoch. Nur mit Mühe unterdrückte sie den Impuls, sich zu schütteln.
    »Okay«, sagte Doktor Kehrfeld resigniert. »Wir brechen ab.« Er schaute zur Uhr und beugte sich über den jungen Mann, als wollte er sich von ihm verabschieden. »Der Zeitpunkt des …«
    Der Tote schlug die Lider auf. Vor Entsetzen stieß Evelyn einen Schrei aus und taumelte gegen eine Ablage mit den Instrumenten. Dabei konnte sie den Blick nicht von seinem lösen, egal, wie sehr sie es auch wollte. Die Iris des Mannes färbte sich schwarz und wurde übernatürlich groß. Feine Blutadern schossen über das Weiß des Augapfels. Der Verstorbene zischte, packte Kehrfeld am Nacken und zog ihn zu sich heran.
    »Was …« Mehr brachte der Arzt nicht hervor, denn der Tote … küsste ihn.
    Kehrfelds Atem stockte, und ein Krächzen entfuhr seiner Kehle. Wie bei einem Asthma-Anfall mühte er
sich, Luft zu holen, und gab pfeifende, erstickte Geräusche von sich.
    Hilf ihm! Tu doch etwas! Mit Überwindung löste sich Evelyn aus der Starre. Sie ergriff die Hand des Mannes, die Kehrfelds Nacken umklammerte, um die unnachgiebigen Finger zu lockern. Es knackte - vermutlich hatte sie ihm einen oder mehrere gebrochen. Energisch zerrte sie Doktor Kehrfeld zur Seite. Er stieß gegen eine Wand. Seine Beine gaben nach, er rutschte auf den Boden, zitterte und rang nach Luft. Evelyn beobachtete, wie seine Haut ergraute. Ein Schweißfilm überzog sein Gesicht und glänzte im Licht der Neonlampen. Umso grotesker wirkte das Lächeln, das sich auf seine blau angelaufenen Lippen stahl.
    Niemand regte sich, niemand verlor ein Wort, bis Doktor Lühnes entgeisterter Blick zur EKG-Kurve wanderte.
    »Die Sinuslinie ist wieder da«, konstatierte er, zu schockiert, um zu irgendwelchen anderen Emotionen fähig zu sein. »Der Blutdruck und die Körpertemperatur steigen.«
    Evelyn schnappte nach Luft, als wäre das ihr erster Atemzug, den sie nach dem Angriff getan hatte, und kniete sich vor Kehrfeld. »Ist alles in Ordnung?«
    Dumme Frage. Nichts war in Ordnung! Sie rüttelte an seiner Schulter, dann tastete sie nach der Schlagader. Seine Haut glühte vor Fieber. Der Puls pochte schwach unter ihren Fingern. Der Arzt lebte. Er kämpfte, und er würde es schaffen. Ganz bestimmt.

    »Bernulf?«, rief sie ihn sanft. »Kannst du mich hören?«
    Das Zittern ging in Schüttelfrost über. Kehrfeld stöhnte und kippte auf die Seite. Blauschwarze Pusteln schwollen an seinem Hals an, wurden zu hässlichen Beulen und platzten. Er krümmte sich vor Schmerzen, würgte und erbrach eine Brühe aus Kaffee und Brötchenstücken auf das Linoleum. Mit dem nächsten Krampf spie er einen Schwall schwarzen Blutes aus.
    Dann verlor er das Bewusstsein.
     
    Evelyn saß am Tresen, doch auf ihre Formulare konnte sie sich kaum konzentrieren. Komm schon, Bernulf, du bist doch zäh wie ein Wolf! Er würde es überstehen, er war schließlich in guten Händen. Ihre Nase begann zu kribbeln, obwohl sie sich mit allen Sinnen gegen die Hoffnungslosigkeit wehrte.
    Evelyn löste den Blick von den Papieren und schaute auf. Eine Weile stierte sie vor sich hin, ohne zu blinzeln, ohne den Tränen zu erlauben hervorzutreten, bis ihre Augen brannten. Irgendwo in diesem Gebäude lag das totgeglaubte Opfer des Motorradunfalls. Sie spürte seine Präsenz, so wie sie schon immer hatte spüren können, wenn jemand ihr auf den Rücken starrte.
    Am liebsten würde sie ihn … Erst jetzt bemerkte sie ihre verkrampfte Hand, die einen Kugelschreiber würgte. Halt! Was dachte sie da? Er war ein Patient,
und ehrlich gesagt, wusste sie nicht einmal, was genau im Schockraum vorgefallen war. Irgendeine vernünftige Erklärung musste es doch für all das geben. Evelyn ließ den
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