Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
Autoren: Tanja Heitmann
Vom Netzwerk:
auch dann noch wärmte, wenn er längst gegangen war. Sie war von Anfang an da gewesen, da war ich mir sicher, aber ich nahm sie mit jedem Tag stärker wahr, seit … Ich ging in meiner Erinnerung zurück, und als ich bei dem Moment angelangte, nach dem ich suchte, hob ich meine linke Hand und betrachtete den Bernsteinring. Einem goldroten Band gleich umschlang er meinen Ringfinger, doch er fühlte sich keineswegs wie ein Schmuckstück an. Dafür war er trotz seiner Glätte zu lebendig – ein Lebewesen der Sphäre mit einer Seele, die ihm auf magische Weise eingehaucht worden war. Ein Ring, der nicht bloß die Bindung zweier Herzen symbolisierte, sondern sie auf eine Weise stärkte, die ich nicht einmal ansatzweise verstand. Man konnte den Ring nur tragen, wenn man liebte, und dann verstärkte er die Bindung. Allerdings nach seiner eigenen Vorstellung, nicht nach der seines Trägers. So viel hatte ich begriffen, als der Ring Sam gegen meinen Willen durch ein tosendes Meer zu mir geführt hatte.
    Ich schluckte schwer.
    Ja, dieser Bernsteinring war deutlich mehr als ein Liebesbeweis.
    Nikolai hatte ihn und sein Gegenstück, das Sam jetzt trug, in seinem früheren Leben als Schatten nicht nur erschaffen, sondern ihn nach seinem Willen umgeformt, damit ich ihn damit zeichnete. »Ihr gehört beide mir«, hatte Nikolai gesagt. Nicht nur die Ringe, sondern auch Sam und ich. Das war gewesen, bevor Sam ihn getötet hatte. »Seine eigene Waffe gegen ihn gerichtet«, war seine Formulierung dafür gewesen. Eine Umschreibung, die außer Acht ließ, was er tatsächlich getan hatte und wozu es ihn machte. Seitdem schwiegen wir das Thema tot, genau wie so vieles andere.
    Es war Sams Entscheidung, die Sphäre mit allem, was zu ihr gehörte – sowohl die schrecklichen Ereignisse als auch die Freunde, die wir in ihr gefunden hatten –, aus unserem Leben zu verbannen. Darin war er so rigoros, wie nur er es sein konnte, und ich hatte zugestimmt, verstört von Nikolais Taten und dem Glauben, dass dies eben der Preis dafür war, Sam in der Menschenwelt zu halten. Die Frage, ob diese Entscheidung richtig war, vermied ich, denn es gab niemanden, mit dem ich darüber sprechen konnte. Und allein wagte ich mich nicht einmal in die gedankliche Nähe der Sphäre, da sie in meiner Erinnerung zu einem Eiland geworden war, an dessen Rändern das brausende Meer wie ein Ungeheuer riss, während ein Schatten über mich fiel, der die Person, die ich am meisten liebte, zum Töten gezwungen hatte.
    Das warme Pochen in meiner Brust wurde schwächer, und ich umfasste den Bernsteinring, als wäre er eine Bucht, die mir im Sturm Zuflucht gewährte. Nur langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder, und die erschreckenden Bilder, die sich mir unablässig aufdrängten, wichen anderen Eindrücken. Ich hörte Sams gelassene, geradezu beruhigende Stimme, mit der er mir vor ein paar Stunden Mathe erklärt hatte. Spürte die federleichten Berührungen seiner Hand auf meiner, wenn ich wieder einmal die Flinte ins Korn schmeißen wollte. All diese winzigen Dinge, die zu einem ganz gewöhnlichen gemeinsamen Nachmittag gehörten. Ein Nachmittag, an dem alles echt war, der nicht durch Geheimnisse überschattet wurde. Wenn Sam sich von meinen Eltern verabschiedete, weil er noch an der Surfschule zu tun hatte, dann handelte es sich um die Wahrheit und nicht etwa um einen erdachten Vorwand, weil er in Wirklichkeit in die Sphäre wechselte, um dort eine Schattenschwinge zu sein.
    Sobald Sam die neugierigen Blicke endgültig abgeschüttelt hatte, die ihm seine Rückkehr eingebracht hatte, würden wir ein ganz normales Paar sein. Als hätte es die Spanne zwischen Mai und September niemals gegeben. Vermutlich lag er richtig mit seinem Entschluss, die Sphäre resolut als Vergangenheit zu betrachten, sie endgültig loszulassen und nach vorn zu blicken. Doch allein der Gedanke an die Sphäre sorgte dafür, dass ich einen Blick zurückwarf, dorthin, wo Shirin neben Kastor stand und Ranuken seinen Unsinn trieb. Wo Lichtwandlerinnen zwischen uralten Bäumen spazierten und Salzwasser über Sams Haut lief wie ein silbriger Strom. Wo für mich alles schwarz-weiß war, obwohl ich mittlerweile wusste, dass sich dahinter Farben von einer Intensität verbargen, an die selbst das leuchtendste Feuerwerk in meiner Welt nicht heranreichte.
    Polternde Schritte auf der Treppe rissen mich aus meinen Gedanken.
    Rufus hielt mit dem Handy am Ohr direkt auf mich zu. »Ja, ich stehe jetzt genau vor
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher