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Schattenpferd

Titel: Schattenpferd
Autoren: Tami Hoag
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Calvins Titan.
    So wurde das Ersticken herbeigeführt: mit Tischtennisbällen in den Nüstern. Mir wurde die Brust eng bei der düsteren Vorstellung eines in Panik geratenen Tieres, das sich gegen die Wände seiner Box wirft, verzweifelt versucht, seinem Schicksal zu entkommen. Ich konnte sehen, wie sich seine Augen vor Entsetzen verdrehten, konnte das Grunzen hören, während es sich zurückwarf und gegen die Wand prallte. Ich konnte das Tier scharren hören, das furchtbare Geräusch der brechenden Vorderhand. Der Albtraum wirkte so real, dass die Geräusche in meinem Kopf widerhallten. Übelkeit und Schwäche überkamen mich. Meine Kehle fühlte sich eingeengt. Ich wollte würgen.
    Schwitzend und zitternd ging ich hinaus auf den kleinen Patio. Ich dachte, ich müsse kotzen. Was es wohl über mich aussagte, dass mir während meiner ganzen Zeit als Detective nie schlecht geworden war beim Anblick dessen, was Menschen einander antaten, mich die Vorstellung von Grausamkeit gegenüber einem Tier aber völlig fertig machte?
    Die Abendluft war frisch und kühl und vertrieb allmählich die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf.
    Sean hatte Gesellschaft. Ich sah sie im Esszimmer, wie sie redeten und lachten. Das Licht des Kronleuchters drang durch die hohen Flügelfenster und spiegelte sich im dunklen Wasser des Pools. Ich war zu dem Essen eingeladen, hatte aber glattweg abgelehnt, noch immer wütend auf ihn wegen des Sidelines- Fiaskos. Vermutlich erzählte er in diesem Moment seinen Kumpels von der Privatdetektivin, die in seinem Hinterhof wohnte. Dämlicher Schwachkopf, mich zu benutzten, um seine Freunde aus Palm Beach zu unterhalten. Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er mit meinem Leben spielte.
    Ganz davon abgesehen, dass er derjenige war, der es zuvor gerettet hatte.
    Ich wollte nicht daran erinnert werden. Ich wollte nicht an Molly Seabright oder ihre Schwester denken. Das hier war meine Zuflucht, meine Fluchtburg, aber ich hatte das Gefühl, dass ein halbes Dutzend unsichtbarer Hände mich packten, an meiner Kleidung zerrten, mich kniffen. Ich versuchte ihnen zu entkommen, ging über den feuchten Rasen zum Stall.
    Seans Stall war von dem Architekten entworfen worden, der auch die Entwürfe für das Haupthaus und das Gästehaus gemacht hatte. Maurische Bögen bildeten Galerien zu beiden Seiten. Das Dach war mit grünen Schindeln gedeckt, die Stalldecke bestand aus Teakholz. Die Lampen im Mittelgang stammten aus einem Art-déco-Hotel in Miami. Die Häuser der meisten Leute kosteten nicht so viel, wie dieser Stall gekostet hatte.
    Es war wunderschön, und ich kam nachts oft hierher, um mich zu beruhigen. Für mich ist kaum etwas so friedlich und beruhigend wie Pferde, die ihr Abendheu fressen. Ihr Leben ist einfach. Sie wissen, dass sie in Sicherheit sind. Ihr Tag ist vorbei, und sie vertrauen darauf, dass die Sonne am nächsten Morgen wieder aufgehen wird.
    Sie vertrauen ihren Besitzern absolut. Sie sind zutiefst verletzlich.
    Oliver ließ sein Fressen stehen, streckte den Kopf über die Boxentür und stupste mich am Hals. Er bekam den Kragen meiner alten Jeansjacke zwischen die Zähne und schien zu lächeln, erfreut über seinen Unfug. Ich umarmte seinen großen Kopf und atmete seinen Geruch ein. Als ich zurücktrat und ihm meinen Kragen entwand, schaute er mich mit freundlichen, unschuldigen Kinderaugen an.
    Ich hätte geweint, wenn ich physisch dazu in der Lage gewesen wäre, aber das war ich nicht.
    Ich ging zurück zum Gästehaus, schaute beim Vorübergehen wieder zu Seans Dinnerparty rein. Alle sahen so aus, als hätten sie viel Spaß, lächelten, lachten, in goldenes Licht getaucht. Was ich wohl sehen würde, wenn ich an Molly Seabrights Haus vorbeikäme? Ihre Mutter und ihr Stiefvater, die an ihr vorbeiredeten, mit den Einzelheiten ihres prosaischen Lebens beschäftigt; die von ihnen durch ihre scharfe Intelligenz abgeschnittene Molly, die sich Sorgen um ihre Schwester machte und sich fragte, an wen sie sich als Nächstes wenden sollte.
    Als ich ins Haus kam, blinkte das Licht an meinem Anrufbeantworter. Ich drückte auf den Knopf und machte mich auf Mollys Stimme gefasst, empfand aber so was wie Enttäuschung, als mein Anwalt mich bat, seinen Anruf irgendwann in diesem Jahrhundert zu erwidern. Arschloch. Wir kämpften um meine Behindertenrente, seit ich das Büro des Sheriffs verlassen hatte. (Geld, das ich nicht brauchte, das mir aber zustand, weil ich im Dienst verletzt worden war.
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