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Schattenpferd

Titel: Schattenpferd
Autoren: Tami Hoag
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mittleren Tisch auf einem ausladenden Holzstuhl, ein alter König auf seinem Thron, und trank etwas mit einem Papierschirmchen darin.
    Mir war ein bisschen schwindelig, als ich auf ihn zuging, teils, weil ich mich fürchtete, ihn zu sehen – oder, besser gesagt, von ihm gesehen zu werden –, und teils, weil ich befürchtete, dass die Leute ankommen, mich anstarren und fragen würden, ob ich wirklich Privatdetektivin sei. Aber das Café war leer bis auf Dean Soren und die Frau hinter dem Tresen. Niemand kam aus den Ställen gerannt, um mich anzuglotzen.
    Dr. Dean erhob sich von seinem Stuhl, richtete seinen durchdringenden Blick auf mich wie einen Laserstrahl. Er war groß, hielt sich sehr gerade, hatte volles weißes Haar und ein langes Gesicht voller Falten. Er musste an die achtzig sein, sah aber immer noch entschlossen und rüstig aus.
    »Was zum Teufel ist denn mit dir los?«, fragte er an Stelle einer Begrüßung. »Kriegst du ’ne Chemotherapie? Sieht dein Haar deswegen so aus?«
    »Ich freu mich auch, Sie zu sehen, Dr. Dean«, erwiderte ich und schüttelte ihm die Hand.
    Er schaute zu der Frau hinter dem Tresen. »Marion! Mach dem Mädchen einen Cheeseburger! Die sieht ja zum Fürchten aus!«
    Marion ging ungerührt an die Arbeit.
    »Was reitest du denn dieser Tage?«, fragte Dr. Dean.
    Ich setzte mich auf einen billigen Klappstuhl, der zu niedrig war und mir das Gefühl gab, ein Kind zu sein. Oder es lag vielleicht an Dean Sorens Wirkung auf mich. »Zwei von Seans Pferden.«
    »Du siehst aus, als hättest du nicht mal die Kraft, ein Pony zu reiten.«
    »Mir geht’s gut.«
    »Wohl kaum«, verkündete er. »Welchen Tierarzt hat Sean jetzt?«
    »Paul Geller.«
    »Der Kerl ist ein Idiot.«
    »Er ist nicht Sie, Dr. Dean«, sagte ich diplomatisch.
    »Er hat Margo Whitaker weisgemacht, ihre Stute bräuchte ›Geräuschtherapie‹. Jetzt setzt sie dem armen Pferd zwei Stunden pro Tag Kopfhörer auf, damit es die Geräusche der Natur hört.«
    »So hat Margo wenigstens was zu tun.«
    »Das Pferd braucht keine Margo, die ständig um es herumwieselt«, grummelte er, nahm einen Schluck von seinem Schirmchengetränk und starrte mich an.
    »Hab dich lange nicht gesehen, Elena«, sagte er. »Schön, dass du wieder da bist. Du brauchst die Pferde. Sie geben dir Halt. Bei Pferden weiß man immer genau, woran man ist. Mit ihnen ist das Leben sinnvoller.«
    »Ja«, murmelte ich, wurde nervös unter seinem forschenden Blick, befürchtete, dass er mit mir über meinen Beruf und das, was passiert war, reden wollte. Aber er überging es. Stattdessen fragte er mich nach Seans Pferden aus, und wir verloren uns in Erinnerungen an Pferde, die Sean und ich vor Jahren geritten hatten. Marion brachte meinen Cheeseburger, den ich pflichtschuldig aß.
    Als ich fertig war, meinte er: »Du sagtest am Telefon, du hättest eine Frage.«
    »Wissen Sie irgendwas über Don Jade?«, fragte ich gerade heraus.
    Seine Augen wurden schmal. »Warum interessiert der dich?«
    »Die Freundin einer Freundin hat mit ihm zu tun gehabt. Das klang mir alles etwas unklar.«
    Seine dicken weißen Brauen zuckten. Er schaute hinüber zum Stall der Springpferde. Zwei Reiter waren draußen auf dem Übungsparcours und ließen ihre Pferde über farbenfrohe Hindernisse springen. Von ferne sahen sie so anmutig und leicht aus wie Rehe, die über eine Wiese hüpfen. Die Sportlichkeit eines Tieres ist etwas Reines und Einfaches. Kompliziert durch menschliche Emotionen, Bedürfnisse, Habgier, hat der Sport, zu dem wir die Pferde zwingen, kaum noch etwas Reines oder Einfaches.
    »Tja«, sagte er. »Don hat schon immer ein hübsches Bild mit etwas rauen Ecken abgegeben.«
    »Was soll das heißen?«
    »Lass uns einen Spaziergang machen«, schlug er vor.
    Ich nahm an, dass er nicht belauscht werden wollte, und folgte ihm aus dem Café zu einer Reihe kleiner Koppeln, auf denen drei Pferde standen.
    »Meine Projekte«, erklärte Dr. Dean. »Zwei mit einer mysteriösen Lahmheit und eines mit schlimmen Magengeschwüren.«
    Er lehnte sich an das Gatter und betrachtete seine Patienten, Pferde, die er vermutlich vor dem Abdecker gerettet hatte. Wahrscheinlich hatte er noch ein halbes Dutzend mehr auf dem Gelände untergebracht.
    »Sie geben uns alles, was sie können«, sagte er. »Sie bemühen sich, dem, was wir von ihnen wollen – von ihnen verlangen – , Sinn abzugewinnen. Dafür wollen sie nur ordentlich und freundlich behandelt werden. Stell dir vor, wenn Menschen so
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