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Schattenkrieg

Schattenkrieg

Titel: Schattenkrieg
Autoren: Andreas Saumweber
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auch, der den Kapitän auf den Ölteppich aufmerksam machte. Viktor ließ sofort darauf zusteuern.
    Der Seenotkreuzer lief näher heran und schließlich hinein. Viktor traute kaum seinen Augen. Der Ölteppich war so dick, dass die schwarze, schmierige Brühe beinahe über die Bordwand schwappte. Die von den beiden Schiffsschrauben aufgewühlte Hecksee war kaum zu erkennen, nicht einmal, als er sich über die Reling lehnte. Ihm war klar, woher dieses Öl stammte. Das Ölfeld, das 4000 Meter unter dem Kiel seines Schiffes lag, war leck geworden, vermutlich sogar an mehreren Stellen, und sprudelte nun ungehindert und unkontrolliert an die Oberfläche. An diesem Tag lernteViktor ein Gefühl kennen, das er noch nie zuvor empfunden hatte: Er fühlte sich klein und unbedeutend, während sein Schiff durch einen Ölfleck von gigantischen Ausmaßen pflügte, auf der Suche nach einem knapp 650   000 Tonnen schweren Stahlungetüm von einer Bohrinsel.
    Als aus heiterem Himmel der Sturm erneut mit voller Macht losbrach, traf er die Crew des Seenotkreuzers völlig unvorbereitet.

KEELIN
     
    Inverness, Schottland
    Mittwoch, 30. September 1998
    Die Außenwelt
     
     
    Es war 5:50 Uhr. Dicker Nebel, während der Nacht vom Loch Ness herübergezogen, hing über der Stadt. Es war unnatürlich ruhig, die Welt schien wie in Watte gepackt. Die kalte Luft roch nach Salz und Meer.
    Keelin fragte sich, wie lange das noch so sein würde. Die Ölpest hatte bereits die Orkney-Inseln erreicht – wenn der Ölteppich schließlich den Moray Firth herauf nach Inverness gespült worden war, würde die Stadt vermutlich nur noch nach Öl und verendeten Tieren stinken.
    Die Straßen waren noch menschenleer, als sie mit dem Fahrrad zur Arbeit strampelte. Wer nicht unbedingt rausmusste, blieb zu Hause. Die Stadt war während der Nachtstunden schon lange nicht mehr sicher. Straßengangs übernahmen dann das Kommando und zogen randalierend und grölend durch die Straßen.
    Keelin riskierte es trotzdem beinahe jeden Tag. Busse fuhren um diese Tageszeit noch nicht, und die Frühschicht im Raigmore Hospital begann um sechs.
Natürlich
fühlte sie sich nicht wohl dabei – doch was blieb ihr anderes übrig? Im Gegensatz zu so vielen anderen, die ohne Arbeit und Hoffnung auf der Straße von Almosen und der Hilfe der Heilsarmee lebten, besaß sie wenigstens einen Job. Sie musste mit der Gefahr leben.
    Eigentlich mochte Keelin diese kalten Herbsttage sogar. Der Nebel reduzierte die Welt auf ihre nächste Umgebung, schloss alles andere aus. Man konnte sich einbilden, alles wäre gut – keinDreck auf den Straßen, keine Penner mehr und keine Junkies … keine Sorgen, keine Probleme. Keine
Erinnerungen

    Normalerweise brauchte sie am Morgen nicht mehr als zehn Minuten in die Arbeit, doch heute würde es länger dauern. Sie hatte kaum geschlafen und war völlig fertig. Sie würde wieder einmal zu spät kommen, wie so oft, seitdem sie diese merkwürdigen Träume hatte.
    Endlich angekommen, sperrte sie ihr Fahrrad ab und hetzte durch die noch ruhigen Kellerkorridore des Krankenhauses. Eilig zog sie sich um und rannte die Feuertreppen nach oben. Ein Blick auf die Uhr sagte Keelin, dass sie bereits zehn Minuten zu spät war, als sie den Stationsstützpunkt betrat. Die Übergabe der Nachtschicht hatte schon begonnen. Sie murmelte ein »Morgen« und setzte sich an den Tisch.
    Nachtschwester Margaret berichtete gerade darüber, dass Mr. Wood vom Bett Nr. 312 heute Nacht gestorben war. Keelin registrierte die Information nur am Rande. Ihre volle Aufmerksamkeit war auf den Kaffee gerichtet, den sie sich einschenkte. Ohne Kaffee würde sie den Tag heute nicht überleben!
    Während die Nachtschwester ihre Übergabe weiter herunterleierte, verglich Keelin den an der Wand hängenden Dienstplan mit den anwesenden Leuten. Zwei fehlten, Jenny und Roberta. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann die Schicht das letzte Mal voll besetzt war. Das würde Überstunden bedeuten.
Wieder
.
    »Kee-lin!«, schreckte sie Beths durchdringende Stimme auf. »Deine Betten sind dran!«
    »Sorry.« Es war zu leicht, während Margarets Übergaben abzuschweifen. Vor allem, wenn man nicht ausgeschlafen war.
    Sie kämpfte sich tapfer durch den Rest des Vortrags. Alles in allem hatte sich zu gestern nicht viel verändert: Der Zustand der beiden Frauen in 318 und 319 hatte sich weiter verschlechtert, das Mädchen in 321 hatte wieder einen Anfall erlitten, und der verrückte alte Mann in 325 hatte
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