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Schattenkinder

Schattenkinder

Titel: Schattenkinder
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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die Mutter.
    »Ja«, murmelte er. Er nahm den Teller mit Eiern und Speck, aber er hatte keinen Appetit mehr. Er wusste, dass ihm jeder Bissen im Hals stecken bleiben würde. Er setzte sich auf die Treppe, wo er von keinem der beiden Küchenfenster aus mehr zu sehen war.
    »Wir lassen die Tür offen«, sagte die Mutter. Sie stand vor ihm, als wollte sie nicht mehr an den Herd zurück.
    »Es ist doch gar nicht so viel anders, findest du nicht?«
    »Mutter...«, warnte sie der Vater.
    Durch die geöffneten Fenster konnte Luke das Brummen vieler Lastwagen und Autos hören. Die Arbeiter hatten ihr Tagwerk aufgenommen. Er wusste von seinen Beobachtungen durch die Ventilatoröffnung in den vergangenen Tagen, dass eine lange Reihe von Fahrzeugen wie eine Parade die Straße heraufgezogen kam.
    Die Autos hielten am Straßenrand, gut gekleidete Männer stiegen aus. Die schäbigeren Gefährte fuhren zu den schlammigsten Stellen und die Insassen verteilten sich auf die Bulldozer und Schaufelbagger, die über Nacht draußen geblieben waren. Den Fahrzeugen blieb nun kaum noch Zeit zum Abkühlen, denn die Arbeiter arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Irgendjemand hatte es mit der Fertigstellung schrecklich eilig.
    – 12 –
    Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
    »Luke ... es tut mir leid«, sagte die Mutter und eilte an den Herd zurück. Sie füllte ihren Teller und setzte sich an den Tisch, neben Lukes alten Platz. Sein Stuhl befand sich nicht einmal mehr in der Küche.
    Eine Zeit lang sah Luke seinen Eltern, Matthew und Mark bei ihrer stillen Mahlzeit zu, eine perfekte vierköpfige Familie. Einmal räusperte er sich, um nochmals zu protestieren. Das könnt ihr nicht machen, das ist ungerecht! Dann schluckte er die unausgesprochenen Worte herunter. Sie versuchten doch nur ihn zu beschützen. Was konnte er tun?
    Beherzt stach er mit der Gabel in das Häufchen Rühreier auf seinem Teller und steckte sie in den Mund. Er aß den ganzen Teller leer ohne auch nur einen einzigen Bissen zu schmecken.
    – 13 –
    Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
    Kapitel 5
    Von nun an nahm Luke sämtliche Mahlzeiten auf der untersten Treppenstufe ein. Es wurde ihm zur Ge-wohnheit, trotzdem hasste er es. Es war ihm nie zuvor aufgefallen, aber Mutter sprach oft viel zu leise, um noch von ihm gehört zu werden, und auch Matthew und Mark gaben ihre Gemeinheiten meist nur flüsternd von sich. Dann fingen sie an zu lachen, nicht selten auf Lukes Kosten, und er konnte sich nicht verteidigen, weil er nicht wusste, was sie gesagt hatten. Er hörte nicht einmal, wenn Mutter sagte: »Jetzt benehmt euch anständig, Jungs.« Nach ein oder zwei Wochen bemühte er sich kaum mehr der Unterhaltung seiner Familie zu folgen.
    Aber selbst er war neugierig an jenem heißen Julitag, als der Brief wegen der Schweine eintraf.
    Matthew hatte an diesem Tag die Post aus dem Briefkasten an der zwei Meilen entfernten Straßengabelung abgeholt. (Luke hatte sie natürlich noch nie gesehen, aber von Matthew und Mark wusste er, dass es dort drei Briefkästen gab, einen für jede Familie, die an dieser Straße wohnte.) Normalerweise bestand die Post der Garners nur aus Rechnungen oder dünnen Umschlägen mit Regierungsbescheiden darüber, wie viel Getreide sie anpflanzen und wie viel Dünger sie verwenden durften oder wohin sie nach der Ernte das Getreide bringen sollten. Ein Brief von Verwandten war ein Anlass zum Feiern und Mutter ließ jedes Mal alles stehen und liegen, setzte sich hin, um mit zitternden Händen den Brief zu öffnen und in regelmäßigen Abständen auszurufen: »Oh, Tante Effie ist wieder im Krankenhaus...« oder »Tss, jetzt will Lisabeth diesen Menschen doch heiraten...« Luke hatte fast das Gefühl, seine Verwandten zu kennen, obwohl sie Hunderte von Meilen entfernt wohnten. Und natürlich hatten sie keine Ahnung, dass es ihn gab. Die Briefe, die Mutter gewissenhaft zurückschrieb, spät in der Nacht und nachdem sie genug Geld für eine Briefmarke zusammengespart hatte, enthielten jede Menge Neuigkeiten über Matthew und Mark, aber Lukes Name war darin noch kein einziges Mal aufgetaucht.
    Dieser Brief war so dick wie manche von Lukes Großmutter, aber er trug ein amtliches Siegel und als Absender den Prägestempel:
    AMT FÜR MENSCHLICHE UNTERBRINGUNG, ABTEILUNG FÜR UMWELTSTANDARDS.
    Matthew hielt den Brief auf Armeslänge von sich, so wie Luke es bei ihm beobachtet hatte, wenn er tote Ferkel aus der Scheune tragen musste.
    Sobald er den
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