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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
Autoren: Anne Holt
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immer wieder: »Die müssen mich für verrückt halten.«
    Helga hatte jedenfalls ihre Weisung befolgt. Auf dem großen Küchentisch dampfte eine Kanne Kakao. Eine Schale voll Schlagsahne stand daneben, und eine Teekanne war mit einem Wärmer in Form einer knallbunten Kuh bedeckt. Sechs Tassen auf Untertassen aus feinem Porzellan standen dort, zusammen mit einer Schüssel voll Plätzchen und Servietten. An der Bewirtung war nichts auszusetzen. Was die Gäste betraf, sah es schon schlechter aus.
    Jon saß wie ein Sack vor dem Fenster, noch immer nass. Helga und Ellen hatten versucht, ihn zu überreden, sich umzuziehen, aber er hatte nur das Jackett abgelegt und einen Pullover angezogen, den Ellen geholt hatte. Inger Johanne hatte sich an das eine Ende des Tisches gesetzt, und Henrik hatte sofort den Stuhl zu ihrer Rechten genommen. Er goss Kakao in eine Tasse, legte beide Hände darum und krümmte sich zusammen, als ob er ein kleines Feuer hütete.
    Joachim stand in der Türöffnung.
    »Ich bin dann weg«, sagte er.
    »Nein«, sagte Inger Johanne.
    »Was?«
    »Setz dich.«
    »Nein. Ich habe Ellen versprochen, Jon zu suchen. Jon ist hier.«
    Er zeigte auf seinen Freund.
    »Auftrag ausgeführt. Ich hab keinen Nerv mehr. Ich gehe.«
    »Setz dich!«
    Inger Johanne hatte sich halb erhoben und zeigte auf den Stuhl bei der Tür.
    »Du hast ja wohl verdammt noch mal nicht zu entscheiden, was ich tue«, sagte er wütend und kehrte ihr den Rücken zu.
    »Setz dich«, sagte Henrik Holme laut, mit einer Stimme, die Inger Johanne nicht wiedererkannte. »Sofort.«
    Er erhob sich und zog seinen Dienstausweis aus der Tasche. Joachim ließ seinen Blick von ihm zu Inger Johanne und wieder zurück wandern.
    »Du hast hier keine Polizeibefugnisse«, sagte er zaghaft.
    »Doch. Und jetzt sage ich es dir zum allerletzten Mal: Setzen!«
    Der Befehl war ansteckend. Helga und Ellen, die bisher noch neben Jon gestanden hatten, zogen sich rasch Stühle heraus und setzten sich. Joachim zögerte noch immer.
    »Und was, wenn nicht ...?«
    Er versuchte zu grinsen, ließ seinen Blick noch einmal von Inger Johanne zu Henrik und zurück wandern. Sein Lächeln wurde nicht erwidert.
    »Fünf Minuten«, sagte er mürrisch, griff nach dem Stuhl bei der Tür und setzte sich auf die Kante.
    Der Schwindel wollte sich nicht legen, und Inger Johanne bat leise um Tee. Henrik schenkte ein und schob ihr die Tasse zu. Als sie die Tasse hob, merkte sie, dass ihre Hand zitterte. Die heiße Flüssigkeit brannte auf ihren Lippen, eine willkommene Ablenkung. Sie trank und spürte die Hitze auf der Zunge, im Hals, ein glühend heißer Schmerz durch die Speiseröhre.
    »Jon wurde nicht für den Mord an Sander verhaftet, wie wir alle geglaubt haben«, sagte sie.
    Alle starrten sie an. Helga bewegungslos, Joachim mit widerwilliger Neugier. Ellens Augen waren blank und leer, aber sie hörte wenigstens zu.
    »Willst du es selbst sagen?«
    Inger Johanne sah Jon an, der fast unmerklich den Kopf schüttelte.
    »Ihm wird der Besitz von Kinderpornografie vorgeworfen«, sagte sie nun, ohne Helga aus den Augen zu lassen. »Und sexueller Umgang mit Kindern.«
    Die alte Frau saß noch immer bewegungslos da, aber die Farbe aus ihrem Gesicht verschwand. Für einen Moment schien sie mit Atmen aufzuhören, dann spitzte ihr Mund sich ein wenig, und die Brust hob sich, und schon hatte sie ihre Selbstbeherrschung zurückgewonnen.
    »Das ist gelogen«, sagte sie. »Das kann einfach nicht stimmen.«
    »Das ist eine verdammte Lüge«, nuschelte Ellen und schlug mit den Händen auf den Tisch.
    »Ja«, sagte Inger Johanne, beugte sich zu Jon vor und legte ganz leicht die Hand auf seinen Unterarm. »Das ist gelogen. Ganz ruhig, Ellen.«
    »Jetzt entscheide dich!«, sagte Ellen.
    Joachim saß noch immer auf der Stuhlkante, aber jetzt beugte er sich über den Tisch vor.
    »Wird er nun wegen Kinderpornografie angeklagt oder nicht?«, fragte Ellen.
    »Es wird ihm zur Last gelegt, aber es stimmt nicht«, sagte Inger Johanne, deren Hand noch immer leicht auf Jons schwarzem Pulloverärmel lag. »Du musst mir helfen, Jon.«
    Er sah sie an, mit einem Ausdruck, den sie bisher nur bei Kristiane gesehen hatte. In seltenen Fällen, wenn die Welt zu unbegreiflich war, bekam sie diese Miene totaler Verwirrung, ehe sie sich mental in einen Raum zurückzog, in dem sie für niemanden zu erreichen war.
    »Du musst mir helfen«, sagte sie noch einmal leise. »Hörst du?«
    »Ja.«
    »Sie hatten also deine
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